Ungerechte Prozessführung im Mittelalter

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So sehr man auf kirchlicher Seite um die Existenz von Zaubereisünden wusste, so gab es auf der staatlichen Seite zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch kein Hexereidelikt. Der Begriff der Hexerei soll zum ersten Mal in einem Strafprozess vor dem weltlichen Gericht der Stadt Luzern 1419 aufgetaucht sein, also schon rund einhundert Jahre vor der Reformation. Der Begriff der Hexe wurde, so vermuten andere Experten, erst am Konzil von Basel, also zwanzig Jahre nach dem Luzerner Fall erfunden. Nach dieser Ansicht sei der Begriff der Hexe vom Konzil neu aufgegriffen und mit alten, angstbesetzten Inhalten gefüllt worden. Es könnte also durchaus sein, dass die gedankliche Verbindung zwischen dem Wort Hexe zum erwähnten altnordischen Begriff hagazussa bewusst von der Inquisition inszeniert wurde, um die Volksängste vor Dämonen gegen die angeblichen Hexen zu schüren. Bereits zeitgenössische Darstellungen kritisierten, dass die Hexen nicht wirklich existierten, sondern lediglich eine ideologische Einbildung der Inquisitoren seien. Die Inquisitoren gehörten auch zu den Wenigen, welche relativ gut gebildet waren, und zu einer gezielten Manipulation der Sprache überhaupt fähig.

Nach der Kirchenspaltung durch die Reformation brachen die kirchlichen Inquisitionsgerichte zusammen. In der Folge wurden Zaubereiprozesse nur noch vor weltlichen Gerichten behandelt.

Der Begriff der Hexerei, genau so wie ihn die Inquisition mit Inhalt füllte, wurde zwar vor den weltlichen Gerichten vorerst nicht anerkannt. Gerade deshalb war es nicht voraussehbar, dass ein weit verbreiterer Hexenwahn je ausbrechen würde. Es kam aber so, dass die weltliche Strafprozessordnung in jener Zeit die Folter institutionalisierte. Diese war zu Beginn gegen Attentäter und Königsmörder gerichtet. Jedenfalls wurden durch die Folter der Willkür größere Tore geöffnet, als es die kirchliche Inquisition alleine je zustande gebracht hätte. Trotzdem vollzog die Inquisition selber auch die Folter, um Geständnisse zu erpressen. War ein solches vorhanden, mussten die kirchlichen Inquisitoren den Angeklagten an das weltliche Gericht übergeben.

Betrachten wir das Prozessverfahren gegen Personen, die der Hexerei beschuldigt wurden, näher: Der Ankläger ist in der stärkeren Position. Er kann jemanden aufgrund von Aussagen irgendwelcher Leute anklagen, gleich ob und wie glaubwürdig diese sind. Man geht davon aus, dass der Ankläger aus Sorge gegenüber dem Staat oder dem rechten Glauben handle und deshalb müsse er seine Anklage nicht beweisen.

Ungeschützt war hingegen der Angeklagte; und sein Verteidiger kommt gegen die Behandlung des Falles meist nicht an. Die Unschuldsvermutung kannte man damals nicht. Um mit der Folter des Angeklagten die Wahrheit zu ermitteln, genügte ein bloßer Verdacht des Richters. Dem Richter war es freigestellt, dem Gefolterten sein Leben für ein Geständnis zu versprechen, es dann aber nicht zu halten, sondern im Gegenteil die Todesstrafe zu beschließen. Denn die Todesstrafe konnte nur verhängt werden, wenn ein Geständnis vorlag. Die Folter wurde deshalb solange angewandt, bis Geständnisse vorlagen, auch von Unschuldigen.

Hexenwahn im Mittelalter
Hexenwahn im Mittelalter

Damit eine Frau der Hexerei angeklagt wurde, genügte die Beschuldigung von irgendjemandem, zum Beispiel, dass die betreffende Frau einen schlechten Ruf habe. Von daher wird es nachvollziehbar, dass die ersten als Hexe verurteilten Frauen dem Bild der modernen Märchenhexe durchaus ein wenig entsprachen. Es handelte sich oft um ältere, zurückgezogene, teilweise auch behinderte Frauen, die infolge ihrer Zurückgezogenheit den Verdächtigungen der dörflichen Gemeinschaft schutzlos ausgeliefert waren.

In den meisten Fällen war die Folge einer solchen Verleumdung die Folter und der Tod. Wurde in den seltenen Fällen jemand mangels genauer Anklage oder fehlendem Geständnis wieder freigelassen, so ging die Rede schnell um, dass diese bestimmte Frau vor den Richter musste. So wurde der Ruf schnell und endgültig beschmutzt, was Grund war für eine neuerliche Verhaftung, Folterung und schließlich Hinrichtung war. Das vorurteilsbehaftete Verleumden wurde insbesondere gefördert durch amtliche Anweisungen, welche Handlungen als Aberglauben, Zauberei oder Hexerei anzusehen seien. In einer bayrischen Anweisung Maximilian I. wurden auch gängige Bräuche der Volksmedizin auf den Index gesetzt und damit verboten. Dazu gehörte auch das Baden am Weihnachtsabend gegen Fieber und Zahnschmerzen. Für die eigentlichen Sünden gegen den christlichen Glauben wurde das Strafmass wie folgt festgesetzt:

– wer den Teufel direkt anruft und anbetet, wird lebendig verbrannt,
– wer den Teufel indirekt anruft, wird vor der Verbrennung enthauptet,
– wer mit dem Teufel einen Pakt hat, landet auf dem Scheiterhaufen und das Vermögen wird eingezogen.
– bei Schadenzauber wird die Verurteilte vor dem Verbrennen mit glühenden Zangen gezwickt.

In Spezialinstruktionen forderte Maximilian zudem, dass alle Amtsuntertanen verpflichtet werden, jeden Verdacht auf Hexerei zu melden. Diese Bestimmung zählt zu den unheilvollsten Verlautbarungen in der Geschichte des Hexenwahns. Denn dadurch wurde man verpflichtet, schon beim geringsten Verdacht jemanden anzuklagen. Es führte sogar soweit, dass Angeklagte unter der Folter ihrerseits irgendwelche Leute der Hexerei beschuldigten, um den Schmerzen zu entgehen.

So wird nachvollziehbar, dass mit der zunehmenden Verfolgung auch hochgestellte Persönlichkeiten auf dem Scheiterhaufen endeten. Die Vorschriften Maximilians mussten jeweils zu Weihnachten und Pfingsten von den Kanzeln verlesen werden. Die Hysterie wurde damit nicht besänftigt, sondern im Gegenteil geradezu angestachelt.

Wo der Teufelskreis zwischen Verhaftung, Verhör, Folter, Denunzierung und weiterer Verhaftung begonnen hatte, hörte er nicht so schnell auf. Die Hysterie ging so weit, dass sich Richter teilweise weigerten, mit den vermeintlichen Hexen überhaupt zu reden oder für die Dauer der Untersuchung im gleichen Haus zu wohnen. Man hätte sie später bezichtigen können, sie seien selber verhext.

Hexenwahn im Mittelalter
Hexenwahn im Mittelalter

 

Rolf Ch. Strasser – http://www.ta7.de/txt/mystik/myst0021.htm

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