Besessene

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Besessene (v. mhd. besezzen = [vom Teufel] besessen; mlat. daemoniaci, obsessi, lunatici). Im Frühmittelalter sah man in den abweichenden Verhaltensweisen von psychisch Kranken oder Epileptikern das Wirken dämonischer Kräfte. Die hl. Hildegard v. Bingen lehrte, dass Gott den krankmachenden Einfluss des Bösen zuließe, um den Menschen nach überstandener Krankheit umso geläuterter und strahlender erscheinen zu lassen. (Ein leibhaftiges Besessensein lehnt sie ab und erklärt die Krankheit mit der Wirkung einer Zusammenballung schwarzer Dämpfe, welche das Bewusstsein verdunkelten.) Erst im Hochmittelalter kam der Glaube auf, der Leibhaftige selbst oder mehrere unreine, böse Geister hätten in Person von dem Kranken Besitz ergriffen, wohnten in ihm gleichsam wie in einem Gefäß.

Symptome der Besessenheit waren: Verzerrungen der Gesichtszüge, konvulsive Körperkrämpfe, Zwangshandlungen, Sprechen in unverständlichen Sprachen oder mit verzerrter Stimme, wahnhafte Wahrnehmungen, Aggressivität, Zerstörungssucht.

Im weiteren Sinn ist als Besessenheit auch das Innewohnen von Tieren – meist Schlangen, Kröten, Würmern oder Eidechsen – im menschlichen Körper (seltener in Tieren) zu begreifen. Ins Körperinnere waren die Schmarotzer durch versehentliches Abschlucken oder durch Einschlüpfen gelangt.

Gemeinhin sah man in Fällen von Besessenheit, Tobsucht oder Irresein eine Strafe für begangene Sünden, Heilung sollte der Exorzismus bringen, eine Austreibungspraxis, bei der sich christliche und archaisch-magische Vorstellungen vermengten. Klösterliche Exorzismus-Häuser, sog. Exorzistorien, wurden zur Besessenen-Fürsorge eingerichtet. Ein eigener Klerikerstand, der des Exorzisten, wurde zur Heilbehandlung geschaffen. Wichtiger Bestandteil des Exorzismus´ war ein Wannenbad, das dem Patienten nach vorbereitender Generalbeichte und Messfeier bereitet wurde. Das geweihte Badewasser enthielt ebenfalls geweihte Zusätze wie Friedhofserde, Weihwasser, Asche, Salz und allerlei Kräuter. Nach H. Schipperges könnte man in den mittelalterliche Exorzisterien Frühformen der Heil- und Pflegeanstalten sehen. Eine weitere Behandlungsform war die sog. Inkubation (=Heilschlaf), bei welcher der Patient zu den Reliquien eines Heiligen in eine Kirche gebracht und dort über Nacht angekettet wurde.

In Fällen von Besessenheit durch Schlangen oder anderes Getier kannte die Volksmedizin eine Reihe therapeutischer Maßnahmen; die meisten beruhten auf der Einnahme von Milch, Essig, Blut oder Wein und sollten die Austreibung der Parasiten durch Erbrechen oder Defäkation bewirken.

Gehäuft traten Symptome der Besessenheit bei Mönchen und Nonnen auf – litten sie doch häufig unter Hysterie, Neurosen und Psychosen als Folgen permanenter Isolation, sexueller Frustration, Eintönigkeit und Untätigkeit. Besonders in Nonnenklöstern ereigneten sich Fälle von epidemisch grassierender Besessenheit, mit Äußerungen von Schreikrämpfen, Umsichschlagen, Aggression gegen kirchl. Einrichtungen und Symbole, Gotteslästerung, orgiastischen sexuellen Phantasien und Erotomanie, Glossolalie (Zungenreden) und – vermeintlicher – Hellsichtigkeit.

Im Spätmittelalter verband sich der Besessenheitsglaube mit dem Hexenwahn. So kam es z.B. vielfach zu vorgetäuschter Besessenheit mit dem Ziel, eine bestimmte Person, die man als Urheber/in denunzierte, der Verfolgung durch die Inquisition auszuliefern.

Die scholastische Medizin neigte dazu, Epilepsie einer hirnorganischen Störung (tactus cerebri, defectio cerebrorum) zuzuordnen, ohne jedoch die Manifestation einer dämonischen Besessenheit auszuschließen.

(s. Exorzismus, Fallsucht, Geisteskrankheiten, Tobsucht, Veitstanz)

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