Flachs

Cinque Terre Forest
Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
Erkunde das Mittelalter: Über 3.979 Seiten und mehr als 6.400 Einträge bieten dir einen tiefen Einblick in diese Ära. Vom Ablass bis zur Zunftordnung - dieses eBook ist dein Guide durch die Geschichte, Gesellschaft und Kultur Europas von 500 bis 1500 n. Chr. Entdecke in „Leben im Schatten der Zinnen“ auf 122 Seiten die mittelalterliche Burgenwelt: Architektur, Alltag und ihre Rolle im Mittelalter kompakt erklärt.

Flachs (von ahd. flahs, mhd. vlahs, zu flechten; ahd., mhd. lin; grch. linon, lat. linum; wiss. Linum usitatissimum = der sehr nützliche Lein; Gattung der Leingewächse). Flachs oder Faserlein ist eine der ältesten Kulturpflanzen Europas und wurde bereits seit der Steinzeit zur Gewinnung von Gespinstfasern und Leinsamen angebaut. Die einjährige Pflanze gedeiht am besten auf feuchten, nicht zu schweren Böden und bei regelmäßigen Niederschlägen. Dementsprechend war der Flachsanbau im Mittelalter in ganz Nordeuropa zwischen Irland und Rußland verbreitet. Die Hauptanbaugebiete in Deutschland lagen in Schwaben, im Rheinland und Westfalen, in Sachsen, Böhmen und Schlesien. Leinengewänder waren zwar schon den Germanen bekannt gewesen, großflächiger Flachsanbau wurde jedoch erst durch die Einführung der Dreifelderwirtschaft ermöglicht. Die Aussaat begann im Frühjahr (vornehmlich 100 Tage nach Neujahr [10. April], am Gründonnerstag oder am 12. Mai), die Ernte ab der zweiten Junihälfte, kurz vor der Samenreife. Sie geschah durch Ausziehen (“Raufen”) der ganzen Pflanze. Der geraufte und gebündelte Flachs wurde auf dem Feld in “Rundhocken” oder “Kapellen” zum Trocknen aufgeschichtet. Nach dem Ausriffeln der ölhaltigen Samenkapseln auf dem eisernen Flachsrechen, einer Art Nagelreihe, wurden die Flachsbündel in der Flachsrotte, einem flachen Tümpel, 10 bis 14 Tage lang “erottet” (hochdeutsch zu “geröstet” verballhornt), wobei sich das Stengelmark und die Pflanzenleime zersetzen, welche die Flachsfasern zusammenhalten. Eine schonendere Art des Röstens war die die drei- bis vierwöchige Tauröste, wobei die Flachsbündel auf einer Wiese der Bodenfeuchte, dem Tau und dem Regen ausgesetzt wurden. Weitere Arbeitsgänge (Spülen, Trocknen [an der Luft, auch im noch heißen Backofen oder in einer speziellen Darre], Brechen, Schwingen, Hecheln) ergaben die spinnfertigen, holzfreien Faserbündel von 40 – 70 cm Länge. An Geräten wurden benutzt: ein- oder zweifugige Flachsbrechen, Schwingstock und -scheit, der tischhohe Hechelstuhl und Flachsmühlen, in denen Fasern gelockert wurden. Das Brechen bewirkte das Loslösen des Holzanteils und das Auftrennen der Fasern. Beim Schwingen werden die Holzteile weitgehend entfernt. Beim Hecheln werden die Leinfasern gereinigt, voneinander getrennt, geordnet und nach Länge sortiert. Die beim Hecheln ausgerauften kurzen Fasern dienten als “Werg” zum Weben eines groben Stoffes (s. Rupfen), zum Dichten von Bootsrümpfen oder zum Ausstopfen von Matratzen. Von den geernteten Stengeln blieben nach der Aufbereitung nur ca. 8 Gewichtsprozente an spinnbaren Fasern übrig.

Die langen Fasern wurden zu Strähnen (“Doggen”) geordnet, auf den Spinnrocken gebunden, gesponnen und aufgespult. Waren genügend Spulen gesponnen, so wurden sie mit Hilfe der Weife zu Strängen abgehaspelt.

Aus Flachsfäden hergestelltes Gewebe (Leinen, Linnen; mhd. lin, linwat) wurde je nach Güte (Feinheit der Fasern, Dichte des Gewebes) zu Alltagskleidung, Unterwäsche, Schleiern, Altardecken, Chorhemden, Bett- oder Tischwäsche, aber auch zu Planen und Segeltuch verarbeitet. Flachs war – wie Hanf – Ausgangsmaterial der Seilerei. Ihre Eignung bestand in der Länge der Fasern, in deren Reißfestigkeit und Beständigkeit gegen Fäulnis.

Rohes Leinen war von grauer bis gelblicher Farbe und wurde erst durch Bleichen annähernd weiß. Wurde gröberes Leinen im bäuerliches Nebenerwerb in den Flachsanbaugebieten hergestellt, so wurden die besseren Leinensorten (etwa Feinleinen für Wäsche) von städt. Handwerkern fabriziert oder wenigstens appretiert (gewaschen, gewalkt, gebleicht, gefärbt, gepresst). Da für die Verarbeitung der spröden Flachsfasern hohe Luftfeuchte vorteilhaft war, wurden die Webstühle der Leinweber in Grubenhütten aufgeschlagen. Feinstes Leinen wurde nach arab. Vorbild auch im christl. Abendland (Italien, Frankreich, Flandern) zu Damast verarbeitet. Als im 14. Jh. Baumwolle aus dem Mittelmeerraum importiert wurde, kam die Herstellung von Barchent auf, einem Mischgewebe aus Lein- und Baumwollfäden.

Aus den getrockneten Samenkapseln der Flachsstauden wurde der Samen (Leinsamen, Flachslinsen) gedroschen. Durch Worfeln wurde guter und minderer Samen getrennt. Guter Samen wurde als Saatgut aufgehoben, aus dem schlechteren presste man nach dem Schroten ein gelbes Öl, das als Speiseöl, als Bindmittel für Malfarben, als Korrosionsschutz für Eisenrüstungen und Waffen sowie als Arzneimittel Verwendung fand.

Schon in der Antike kannten Ärzte wie Dioskurides die medizinischen Potenzen des Leinsamens; er empfahl ihn als erweichenden Umschlag bei Abszessen, Geschwüren und Brandwunden, als Schmerzmittel bei Rheuma- und Gichtleiden, als Klistier bei Verstopfung, als Hustenmittel und als Mittel gegen Gebärmutterleiden. Die Wirkung beruht im Wesentlichen auf den durch Quellung in Wasser freiwerdenden Schleimstoffen der Samenschale. In der “Physika” der Hildegard von Bingen wird Leinsamen als wärmend und schleimig/feucht qualifiziert; sie nennt ihn in verschiedenen Rezepten zur äußerlichen Anwendung bei Brustkrankheiten, Milzschmerz, Seitenstechen und Verbrennungen.

Bei der großen wirtschftlichen Bedeutung von Flachs ist es nicht verwunderlich, dass sich um Aussaat und Gedeihen eine Vielzahl abergläubischer Bräuche gebildet hat. Diese wurzelten zum Teil in heidnischen Vorstellungen (etwa einem Fruchtbarkeitskult), waren aber häufig mit christlichen Glaubensgut verwoben; so spielte das weibliche Geschlecht eine ausschlaggebende Rolle bei der Saat und galten dafür Marientage oder Gedenktage anderer weiblicher Heiliger als günstige Zeit – war doch der Flachs eine “Pflanze der Frau”, die ihn spann und webte.

(s. Bokemühle, Grubenhaus, Leinwand, Malfarben, Segel, Seiler und Reeper, Weber)

Bestseller Nr. 1
Bestseller Nr. 2
Bestseller Nr. 3
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Volkert, Wilhelm (Autor)
4,42 EUR
Bestseller Nr. 5
Nach oben scrollen