Geburt

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Geburt (mhd. geburt, ahd. giburt; v. mhd. gebern, ahd. giberan = hervorbringen, gebären; lat. partus). Geburten geschahen fast ausschließlich zu Hause, mit der Hilfe einer Hebamme oder unter dem Beistand weiblicher Verwandter oder dem der Nachbarinnen. Der Gebrauch eines Gebärstuhles war weit verbreitet. Der Hebamme stand eine Stuhlfrau (ein Stuhlweib) zur Seite, um den Gebärstuhl zu befördern. In Spitälern gebaren Frauen, die während der Schwangerschaft verwitwet waren sowie Mütter unehelicher Kinder.

Die Geburt war stets mit großem Risiko für die Mutter verbunden. Zwar sind keine Zahlen für die Müttersterblichkeit im Kindbett verfügbar, doch scheint eine Schätzung auf 3 % der Realität nahe zu kommen.

Besonders große Gefahren drohten bei manuellen Eingriffen infolge von Infektion, Gewebeschädigung und Blutung. Erfahrene Hebammen beherrschten Lageberichtigungen, Extraktion und Embryotomie, aber jeder Eingriff, und sei er auch nur untersuchend, war mit hohem Infektionsrisiko behaftet. Der Kaiserschnitt wurde nur beim Tod der Mutter vorgenommen. Durch Schnittentbindung zur Welt Gekommene hießen “Ungeborene” (ingeniti). Als solche galten z.B. der Bischof Gebhard II. von Konstanz (949 – 995) und sein Zeitgenosse Purchard, Abt zu St. Gallen (gewählt 958).

Die Volksmedizin erhoffte sich geburtsfördernde und blutstillende Wirkung von verschiedenen Mitteln, darunter Mutterkorn, Mandeln, Kümmel, Melisse, Taubnessel, Kamille und Zwiebel. Von wundertätigen Amuletten (oft in Krötenform), Reliquien, Beschwörungsformeln und Heiligenanrufungen (Anna, Margareta, Katharina, Barbara, Agatha) erhofften sich die werdenden Mütter Hilfe und Beistand. Um böse Geister zu verscheuchen entzündete man neben der Kreißenden ein helles Licht, lärmte oder legte eine Axt unter oder in das Bett.

Für das Lebensschicksal des Neugeborenen wurden die Umstände der Geburtsstunde als entscheidend betrachtet. Zufälligkeiten wie ein Hahnenschrei oder ein gleichzeitiger Todesfall, meteorologische und astronomische Gegebenheiten wurden von Wahrsagern und Astrologen vermerkt und ausgelegt.

Frauen, die bei der Geburt oder im Wochenbett gestorben waren, galten als unrein; sie durften weder in die Kirche hineingetragen noch in geweihter Erde bestattet werden. Manchmal war ihnen ein abgesonderter Bereich innerhalb des Kirchhofs reserviert.

Die Freude bei der Geburt eines Knäbleins war weitaus größer als jene bei der eines Mädchens. Dies war begründet in der zeitgemäßen Minderachtung der Frau und in der Bedeutung männlicher Nachkommen als Arbeitskräfte und Altersversorgung sowie für die Weiterführung des väterlichen Namens (“Stammhalter”), Geschlechtes, Besitzes, Gewerbes oder einer erblichen Position. Nach Thomas von Aquin sollten eigentlich nur Jungen gezeugt werden; Mädchen – als unvollkommene Menschen – kämen nur durch widrige äußere Umstände (ungünstige Witterung) bei der Begattung zustande. All dies bedeutet nicht, dass die Geburt eines gesunden Mädchens nicht auch freudig begrüßt, dass Mädchen nicht auch elterliche Liebe entgegengebracht worden wäre.

Geradezu krankhafte Verachtung und Abscheu empfindet der Kirchenvater Augustinus angesichts der kreatürlichen, so wenig vergeistigten Umstände unserer Geburt, wenn er sagt: “inter urinas et faeces nascimur” (zwischen Urin und Kot kommen wir zur Welt). Die Äußerung ist in Zusammenhang mit der pathologischen Leibfeindlichkeit zu sehen, die von Kirchenmännern vertreten wurde.

(s. Amme, Ärztinnen, Beschreien, Gebärmutter, Geburtenabstände, Gynäkologie und Geburtshilfe, Hebamme, Kindbettfieber, Nachgeburt, Reinheit, Säuglinge, Schwangerschaft, Wochenbett, Wöchnerin)

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