Hostienfrevel

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Hostienfrevel. Der konsekrierten Hostie wurde im Mittelalter – vor allem nach der Dogmatisierung der Transsubstantiationslehre – höchste Wunderkraft beigemessen. Aus diesem Grunde wurden Hostien häufig entwendet – sei es von Bauern, welche sie in heilbringender Absicht zerkleinert aufs Feld streuten, dem Vieh verfütterten oder in den Bienenkorb legten, sei es von Zauberern und Hexen zu magischen Praktiken oder von Söldnern, die sie als Amulett bei sich trugen um hieb- und schussfest zu werden. Derlei Frevel, von mittelalterliche Autoren als “superstitio” gebrandmarkt, wurde entsprechend poenalisiert. Als im 13. Jh. europaweit “blutende” Hostien gefunden wurden, wurde die Christenheit von panischer Angst befallen. (Die Hostien, ungesäuerten Weizenmehlscheiben, die in einer Art Waffeleisen hergestellt wurden, stellen einen stärkereichen und säurearmen Nährboden für das Bacterium prodigiosum dar, das darauf bluttropfenähnliche Kolonien bilden kann.) Schon bald war von Dieben das Geständnis erfoltert, dass sie im Auftrag der Juden, denen der Zutritt zu christl. Kirchen ja verboten war, Hostiendiebstahl begangen hätten. Ihre Auftraggeber würden dann, um den Leib des Herrn zu schänden, die Hostien mit Messern und Nadeln zerstechen. Dies zeigten andere Hostien wunderbarerweise durch Blutschwitzen an. Es erhob sich ein großes Judenmorden, dem zwischen 1263 und der Mitte des 15. Jh. die Judenschaften von Beelitz (bei Berlin), Paris, Kornneuburg (bei Wien), Regensburg, Passau, Güstrow, Deggendorf, Posen, Prag, Breslau und vielen anderen Städten zum Opfer fielen. Stets wirkten bei der Aufstachelung zur Judenhatz religiöse und soziale Motive zusammen. Viele der Orte, in denen sich ein Blutwunder ereignet hatte, wurden in der Folgezeit zu Wallfahrtsorten, denen die zuströmenden Pilger und Wallfahrer großen Reichtum brachten.

Besonders tat sich ein fränkischer Ritter namens Rintfleisch hervor, der sich als vom Himmel zum Vernichter der Judenheit berufen ausgab. 1298 suchten er und seine Rotte von Totschlägern unter der Vorwand, eine Hostienschändung zu rächen, fränkische und schwäbische Städte und Dörfer heim und folterten, schändeten und verbrannten mehr als 5.000 Juden jeden Alters und Geschlechts (namentlich genannt im Nürnberger Memorbuch). So in Röttingen, Rothenburg o.T., Neustadt/Aisch, Windsheim, Iphofen, Mergentheim, Tauberbischofsheim, Ochsenfurt, Kitzingen, Nürnberg, Bamberg, Würzburg und Heilbronn.

Als Beispiel aus dem Spätmittelalter sei das “Blutwunder von Sternberg” genannt: Dort (im heutigen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, Lks. Parchim) soll der Legende nach im Jahr 1492 ein verschuldeter Priester dem Juden Elesear zwei Hostien verkauft haben, die dieser zusammen mit Glaubensgenossen durch Pfriemenstiche zu schänden versuchte. Als die Hostien zu bluten begannen, wurden die Juden von Angst befallen und brachten sie dem Priester zurück. Auf verworrenen Wegen kam die Freveltat den Herzögen Magnus und Balthasar von Mecklenburg zu Gehör, die beide bei Juden schwer verschuldet waren. Bald nach der Hinrichtung eines geständigen Juden wurden die Juden in ganz Mecklenburg peinlich verhört; 27 von ihnen wurden verbrannt, die übrigen wurden nach Konfiskation ihrer Habe des Landes verwiesen. So hatten sich die Herzöge ihrer Schulden entledigt und Sternberg wurde zu einem Wallfahrtsort und kam dadurch zu einigem Wohlstand.

Unter dem Vorwurf des Hostienfrevels ließ der Judenhasser und Inquisitor ® Johannes Capestrano 1453 in Breslau 41 Juden verbrennen, den Rest der Judenschaft aus der Stadt vertreiben. Auch in diesem Fall ist es zu einer willkommenen Schuldentilgung und Eigentumsmehrung gekommen.

(Dem Naturwissenschaftler Christian Gottfried Ehrenberg [1795-1876] gelang der Nachweis, dass der rot-braune, als verkrustetes Blut gedeutete Belag durch kleinste Lebewesen hervorgerufen wurde, die später Bazillus prodigiosus Cohn genannt wurden. Auch das der Familie der Enterobacteriaceae zugehörige Bakterium Serratia marcescens, das den roten Farbstoff Prodigiosin bildet, ist als ein Urheber des Hostienblutens entlarvt.)

(s. Blutwunder)

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