Inzest

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Inzest (lat. incestum = Blutschande, Geschlechtsverkehr mit nahen Verwandten oder mit Nicht-Christen; mhd. sippeminne). In den meisten Kulturen galt der Geschlechtsverkehr zwischen Blutsverwandten und Verschwägerten als tabu, so auch im mittelalterliche Recht des christlichen Abendlandes, das vom AT und vom Röm. Recht geprägt war. Seit dem 6. Jh. wurde die kirchenrechtliche Durchsetzung der Inzest-Verbote wesentlich verschärft. Verboten waren Eheschließungen zwischen Blutsverwandten der geraden Linien (auf- und absteigend) bis zum 7. (vom 13.Jh. an bis zum 4.) Grad, und in den (auf- und absteigenden) Seitenlinien bis zum 3. Grad einschließlich.

Der Rechtsvorschrift bezüglich der sieben Verwandtschaftsgrade lag eine Zählmethode zugrunde, nach der jeder Zeugungsakt, der ein Verwandtschaftsverhältnis begründete, als jeweils ein Grad gezählt wurde. So ist man mit dem eigenen Bruder – wegen der eigenen Zeugung und der seinen – im zweiten Grad verwandt. Mit einer Tante ist man im dritten Grad verwandt, wegen derer Zeugung, derjenigen des eigenen Vaters bzw. der eigenen Mutter und der eigenen. Zu einer Cousine besteht ein Verwandtschaftsverhältnis vierten Grades, wegen der Zeugung der Cousine, eines Elternteils von ihr, eines eigenen Elternteils und wegen der eigenen Zeugung. Jemanden, mit dem man Ur-Ur-Großvater oder Ur-Ur-Großmutter gemeinsam hat, mit dem man nach dieser Zählweise also im achten Grad verwandt ist, hätte man heiraten dürfen.

Seit dem 11. Jh. setzte sich eine andere Zählmethode durch, bei der jede Generation bis zurück zum gemeinsamen Ahnen als ein Grad gezählt wurde. Danach wäre einer mit dem Bruder und dem Vater im ersten Grad verwandt, im zweiten mit dem Großvater, der Tante und einer Cousine ersten Grades usf. Um jemanden heiraten zu dürfen, durfte man mit ihm/ihr lediglich Ur-ur-ur-ur-ur-ur-Großvater und Ur-ur-ur-ur-ur-ur-Großmutter gemeinsam haben.

Grundlegend dürfte dabei ursprünglich die Erkenntnis gewesen sein, dass Nachkommen von Blutsverwandten beim Vorliegen gleicher unerwünschter Anlagen häufig von eben diesen negativen Merkmalen geprägt waren. Die Ausdehnung des Inzestverbots auf Verschwägerte beruhte wahrscheinlich auf der Absicht, Rivalitäten innerhalb der Sippe zu vermeiden und durch Verbindung mit außenstehenden Familien die Basis des eigenen Familienverbands zu verbreitern und dadurch mehr Einfluss zu gewinnen. Die rigorose christl. Ablehnung inzestuöser Verbindungen war in deren als verabscheuenswürdig, beschmutzend und widernatürlich empfundenen Qualität begründet.

Dem frühmittelalterliche Kirchenrecht galt – unter dem Einfluss des Röm. Rechts – Inzest als schwere bußwürdige Handlung (incestualis nefaria), als Beschmutzung der Seele (iniquitas), gar als Abfall von Gott. Entsprechend hart waren die Strafen, die kirchlicherseits in langjährigem, teilweise verschärftem Fasten bei Wasser und Brot, bei Klerikern in Amtsverlust und Klosterhaft bestanden, weltlicherseits von Ehrverlust, Konfiskation des Vermögens über Verknechtung bis zur Landesverweisung und Hinrichtung reichten. In den weltl. Gesetzen des späteren Mittelalter wird das Delikt nur mehr selten erwähnt; im Spätmittelalter ging man auch mit peinlichen Strafen dagegen vor.

Als “Inzest” wurde auch der Sexualverkehr mit bzw. zwischen Nonnen und Mönchen oder Priestern bezeichnet, lebten sie doch über ihre Vermählung mit Christus in geistlicher Verwandtschaft mit diesem und würden durch geschlechtlichen Verkehr Ehebruch (adulterium) begehen. Aus dem gleichen Grund der geistlichen Verwandtschaft bestand Eheverbot zwischen Taufpaten und Patenkind (s. Pate); auch sexueller Kontakt zwischen leiblichen und geistlichen Eltern des Patenkindes galten als Inzest.

R. M. Karras entnimmt dem Werk “Handling Synne” (“Über den Umgang mit der Sünde”) des englischen Mönchs Robert Mannyng de Brunne (13./14. Jh.), dass Männer den Verkehr mit Prostituierten meiden sollten, könnten sie doch nicht wissen, ob diese nicht schon Verkehr mit dem Bruder oder einem anderen Verwandten gehabt habe. Dies wäre nach damaliger Auffassung als Inzest zu betrachten gewesen.

Als blutschänderisch galt gemäß der Judengesetze der Verkehr zwischen jüdischen Männern und Christinnen.

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