Kindheit

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Kindheit (mhd. kintheit; v. kint, ahd. kind = Knabe, Mädchen). Die mittelalterliche Einstellung zum Kind ist ambivalent. Es lassen sich zwei gegensätzliche Positionen feststellen, eine negative und eine positive. Weltliche Literaturzeugnisse für die negative Position betonen die Mühen, Kosten und Sorgen, die mit Kindern verbunden sind. Ins gleiche Horn stoßen geistliche Autoren, die obendrein beklagen, dass die Eltern durch die Aufwendungen für ihre Kinder daran gehindert würden, “ihr Geld der Kirche zu geben und den Armen Almosen”. Kirchenschriftsteller lobten Frauen und Männer, die der Welt entsagten und ins Kloster gingen – selbst wenn sie darüber ihre Kinder im Stich ließen. Kinder, sündhaft gezeugt und und in Sünde geboren, galten in der ersten Entwicklungsphase (infantia, bis zu sieben Jahren) als unvollkommen, fehlerbehaftet und vernunftlos. (In den Heiligenviten wird dieser Lebensabschnitt so dargestellt, als sei der Heilige, quasi als “puer senex”, schon als Kind von der Reife und Weisheit des Alters erfüllt gewesen.) Kinder der zweiten Entwicklungsphase (pueritia, bei Mädchen bis 12, bei Jungen bis 14 Jahren) wurden noch ungnädiger beurteilt. Mit der physischen und intellektuellen Entwicklung ginge eine stärkere Neigung zur Sünde einher. (Hierzu kontrastiert wieder die Legende: der Heilige als frommer, keuscher und eifriger Schüler.) Den Jugendlichen (die adolescentia geht bis zum 21. – 25. Lebensjahr) treten die Autoren wegen deren behaupteter Arroganz, Habsucht und Begierde geradezu feindselig gegenüber. Sie fordern rigorose Härte der Erziehung.

Eine positive Einstellung zu Kindern findet sich bei anderen Autoren (z.B. Bartholomaeus Anglicus), die die Reinheit und Unschuld der Kindheit betonten. Mit der parallel zum Marienkult im 12. Jh. einsetzenden Verehrung des Jesuskindes änderte sich auch die Grundeinstellung zu Kindern: sie seien von Natur aus gut, brauchten die Züchtigung nicht, sondern sollten vor schädlichen Einflüssen bewahrt werden. Ausdruck des Glaubens an die reine Unschuld der Kinder findet sich in dem Brauch, kirchliche Prozessionen von Kindern anführen zu lassen.

In vielen Weistümern werden Kinder mit dem 7. Lebensjahr – unabhängig vom Geschlecht – als reif genug beurteilt, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen; entsprechend endet die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern mit deren siebten Jahr.

Der ambivalenten Haltung mittelalterliche Autoren hat mit Sicherheit eine höchst differenzierte Realität kindheitlicher Lebensumstände entsprochen. Neben der ablehnenden Haltung hat es sicher auch die liebevolle Zuwendung gegeben. Indes lässt die gefühlsmäßige Kälte und Rohheit, die uns bei einem Großteil der mittelalterliche Gesellschaft begegnet, eher auf eine lieblose, von Gewalt bestimmte Kindheit schließen. Eine gleichgültige Haltung der Eltern ihren Kindern gegenüber lässt sich durchaus als Selbstschutz erklären: bei der hohen Säuglings- und Kindersterblichkeit wollten sie sich nicht gefühlsmäßig an etwas binden, das sie mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder verlieren konnten.

(s. Amme, Erziehung, Kinderspiele, Kindestötung, Lebensalter, Mündigkeit, Stillen, Unterricht)

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