Lexikon des Mittealters | Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen |
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Was hat Konrad I. bestimmt, den gefährlichsten Widersacher des fränkischen Königtums als seinen Nachfolger vorzuschlagen? Ein rechtmäßiger Erbe war in Konrads Bruder Eberhard zur Verfügung, den der Todkranke erst zum Verzicht veranlassen musste. An Eberhard selbst kann es nicht gelegen haben; er ist später tatkräftig genug. Seine Niederlage durch die Sachsen 912 oder 913 bei Eresburg (Diemel) noch fünfzig Jahre nachher sangen die Mimen davon – kann kaum im Wege gestanden haben. Auch dann bliebe Konrads Entschluss der weltgeschichtliche Heroismus eines beispiellosen persönlichen Erkenntnis- und Stammesopfers: der Gegensatz zwischen Franken und Sachsen war innerhalb des bisherigen Systems nicht auszugleichen. Der Liudolfinger Heinrich, der Sieger von Eresburg, besaß alle Eigenschaften für die von den Franken unterstützte Befriedung des Ostreichs und die Wiederherstellung der Einheit. Sie erforderten auch um Bayerns willen einen starken Mann. Konrads Stiefsohn Herzog Arnulf – der König hatte 913 Liutbolds Witwe Kunigunde geheiratet war zuletzt der erbitterste Gegner des Franken gewesen, war 916 zu den Ungarn geflohen, hatte 918 den König geschlagen und war nach Konrads Tod von den Seinen „zum König im Reiche der Deutschen“ (Teutonicorum) bestellt worden. Die bayerische Eigenmächtigkeit zwang nun erst recht die Franken und Sachsen, zum Vermächtnis des Toten zu stehen. Es liegt in der Tat viel Überlegung, Not und Opfersinn in dieser merkwürdigen Translation: die Franken gaben ihr Recht und die karolingische Hausgeschichte daran.
Die Einheitsbestrebungen der Bischöfe und nicht zuletzt der Verzicht der Franken auf -die Führung in diesem Augenblick sprechen .gleich -beredt für das Fortleben der Hinterlassenschaft des 9. Jahrhunderts. Im Mai 919 haben die Sachsen und Franken Heinrich in Fritzlar gewählt. Schwaben blieb still. Da war es für den neuen König von Anfang an von großer Bedeutung, dass ihm die Kronländer zwischen Nord und Süd für alle Fälle den Weg freigaben.
Heinrich war Stammesherzog; seine eigene und die schwäbische Erfahrung lehrten, dass die Entwicklung so rasch nicht wieder rückgängig zu machen war. Eberhard von Franken wird seine Sicherungen verlangt haben. Also kam eine grundsätzlich andere Haltung für den König nicht in Frage. Das Stammesherzogtum blieb. Aber konnte Heinrich die Bedeutung der über das ganze Reich hin maßgebenden bisherigen Gegenspieler, der Bischöfe, verkennen? Konnte er sie gar vor den Kopf stoßen? Widukind berichtet, dass Heriger von Mainz dem Neugewählten Salbung und Krönung angeboten habe; aber Heinrich habe bei aller Würdigung des Antrags gedankt: „Es genügt mir, mit Gottes Gnade und durch Euer Wohlwollen als Erster meiner Großen König zu heißen; Salbung und Diadem mögen Besseren zuteil werden; wir halten uns einer so hohen Ehre für unwürdig.“ Und das Wort habe der versammelten Menge gefallen, und mit zum Himmel erhobener Rechten haben sie immer wieder in machtvoller Huldigung den Namen des neuen Königs gerufen. Es liegt kein Grund vor, Widukinds Erzählung anzuzweifeln. Dann soll aber auch der ganze Bericht gelten. Heinrich war wohl zum König gewählt, aber für ihn selbst war die neue Bürde ein Versuch. Er kannte seine Aufgabe so gut wie der heimgegangene Konrad, hatte aber ebenso wenig die Bürgschaft dafür, dass sie gelang. So wollte er als der Erste der Fürsten, als der Verantwortliche, beginnen, mit der Arbeit, nicht mit den Ehren. Das verstanden sie alle, auch die Geistlichen. Heriger von Mainz trat dem König alsbald als Kanzler in der Mitverantwortung an die Seite. Erst dadurch, dass die Aufgabe gelang, ist die Francia orientalis zum regnum Teutonicorum geworden. Die Kraft der neuen Dynastie hob das Deutschtum über den Westen und Süden des alten Karolingerreiches hinaus zum anerkannten Übergewicht: so musste der Deutsche in die christliche Führung hineinwachsen. Die Aufgabe ist ebenso Programm wie Entwicklungsergebnis gewesen. Natürlich gestaltete sich Heinrichs Arbeit vom Alltag, vom Nächstgelegenen aus, aber sein Eingreifen nach allen Seiten hat seine Rechts-Voraussetzungen: er ist für all die Aufgaben doch nur als Erbe der Karolinger zuständig. Francia orientalis ist das Deutschtum vorerst noch. Und die unseligen Zustände im Westen machen trotz der Teilungen dem die Ordnung zur Pflicht, der der Pflicht genügen kann. Das Reich war rechtlich geteilt, nicht aufgelöst, vor allem im Sinn der Teilungsverträge mit gemeinsamer Schutzpflicht gegenüber der Kirche des heiligen Petrus und mit der Möglichkeit des Übergangs der Gesamtführung von einem Reichsteil zum andern.
Das Verhalten Heinrichs I. ist so unmittelbar es von den Tatsachen diktiert war – doch nur in dem großen Rahmen selbstverständlich, in den er durch die Frankendesignation gestellt wurde. Das Kaisertum ist christliches Postulat; es kam wieder, der Natur der Dinge nach durch den, der das Chaos überwand. Wie wenig die Bischöfe über die Haltung des neuen Königs verstimmt waren, und wie wenig Heinrich deutsche Politik im Gegensatz zur kirchlichen Reichsvergangenheit trieb, zeigt das Zusammengehen des Königs und des Episkopats gegen das Herzogtum in Schwaben und Bayern. Wenn Heinrich im Reich Ordnung schaffen wollte, war er so gut wie seine Vorgänger auf die Bischöfe angewiesen – wie die Bischöfe auf die ordnungsgemäße Gewalt im Königtum. Herzog Burchard befehdete den Abt von St. Gallen, weil dieser „zum sächsischen König hielt (cum rege Saxonico sentiret)“ vom Tage seiner Wahl an. Von Bayern aus wurde Heinrich durch einen Bischof – den Regensburger – gerufen, der auch schon Konrad I. ins Land gezogen hatte. Über die Vorgänge im einzelnen sind wir wenig unterrichtet. Schwaben litt 920 -durch Verheerungen; ob die aber dem König zur Last fallen, ist nicht zu erkennen. Widukind schreibt von einem Feldzug Heinrichs gegen Burchard. Die schwäbischen Quellen schweigen. Nach Widukind hat der „bellatorintolerabilis“ Burchard den Kampf nicht gewagt, „weil er zu gescheit war“, und hat sich mit allen Städten und dem gesamten Volk unterworfen. Heinrich ist fortan Oberherr, besetzt Kirchenstellen, die Stühle von Konstanz, Augsburg, Chur, stattet Kirchen und Stifter aus. Den geistlichen und weltlichen Fürsten ist ihr Recht geworden; beide müssen sich fügen. Als Burchard 926 in den lombardischen Kämpfen für seinen Schwiegersohn Rudolf von Burgund fiel, machte Heinrich bei der Minderjährigkeit Burchards III. auf einem Hoftag in Worms im November 926 den Franken Hermann von der Wetterau, einen Neffen Weiland König Konrads, zum Schwabenherzog, der Burchards Witwe heiratete. In Bayern ging es ähnlich. Arnulf – „durch die Huld der göttlichen Vorsehung Herzog“ – hatte es auf die Regensburger Kirchengüter abgesehen. Heinrich belagerte den Herzog in Regensburg, „und da der sah, dass er dem König nicht Widerstand leisten konnte, unterwarf er sich mit seinem ganzen Reiche (regno). Der König nahm ihn ehrenvoll auf und hieß ihn seinen Freund.“ Arnulf behielt das Recht der Besetzung von Bischofstühlen. Heinrich war auch für Bayern König.
Das abtrünnige Lothringen folgte bald nach. Das Reich Lothars nach der Teilung von 843 hätte durch die Aufteilung von Mersen 870 verschwinden sollen. Aber die Begehrlichkeit des Westfranken Karl des Kahlen, der das Ganze wollte, führte 876 zum Krieg zwischen West und Ost, dem ersten deutsch-französischen, in dem der deutsche Ludwig den Angreifer bei Andernach schlug. Lothringen wurde 879 deutsch (nach dem Stande der Grenzen von 843). Dann kam nach dem Tode Karlmanns, des Sohnes Ludwigs des Stammlers von Westfranken noch einmal das ganze Karolingerreich in der Hand Karls III. (885-887) zusammen. Arnulf sandte seinen unehelichen Sohn Zwentibold als Unterkönig nach Lothringen. Das weckte den Sondergeist des Adels wieder: wie überall bedeutete das Ringen zwischen Zentralgewalt und Adel Übergriffe gegen Kirche und Klöster. Frankreich bekam neue Gelegenheit zur Einmischung. Nach Zwentibolds Tode anerkannte das Land Ludwig das Kind, den Halbbruder des Verstorbenen. Dessen Regierungsjahre waren aber auch nicht dazu angetan, Vorliebe für den Osten zu wecken. 911 wandten sich die Lothringer dem Westreich zu. Graf Reginar vom Hennegau hatte sich unter dem Adel durch Vergewaltigung der Kirchen und durch die, Sorge für das eigene Haus hervorgetan. Sein Sohn Giselbert machte sich dem Zuge der Zeit folgend zum Herzog. Die innerfranzösischen Wirren, der Sturz des Karolingers Karl des Einfältigen durch den Grafen Robert von Paris und dessen Schwiegersohn Herzog Rudolf von Burgund-Autun bekamen indessen auch Lothringen, besonders den Kirchen, nicht gut. Erzbischof Ruotger von Trier wandte sich an Heinrich, der aber nachdrücklich erst eingreifen konnte, als Schwaben und Bayern sich seinem Königtum eingeordnet hatten. Giselbert unterwarf sich, und in ihm war und blieb der König auch Lothringens sicher. Das Jahr ist nicht genannt; doch kann es sich nur um 925 handeln. Lothringen wurde endgültig – aber nicht unangefochten deutsch. Giselbert heiratete 928 Heinrichs Tochter Gerberge. S0 kam zum völkischen Zusammenschluss auch der dynastische. Der Rhein in seinem ganzen Lauf, die Maas mit ihren linken Nebenflüssen bis auf die Oberläufe der Sambre und Schelde und die Quellgebiete der Seine, das ganze Land bis Cambrai, Gent, Antwerpen und nördlich von Brügge sind seitdem im Reichsverband. Die Vorgänge im Westfrankenreiche zeigen, welches Gewicht für die Führung dem dynastischen Rechte zukommt. Die Gegner Karls des Einfältigen machten als Verwandte dem unfähigen.
Karolinger die Herrschaft streitig. Darin lagen für den Sachsen nicht unbedenkliche Schwierigkeiten. Heinrich ist ihrer vor allem dadurch Meister geworden, dass er sich von Anfang an auf den Rechtsboden des karolingischen Erbes stellte, das durch die Designation des berechtigten Inhabers Konrad und dessen Bruders an ihn übergegangen war; von persönlicher Verwandtschaft ist nicht die Rede. Das Reich war geteilt; aber noch bestanden alle Möglichkeiten neuer Gestaltungen, gerade aus dem dynastischen Geraufe heraus. Schließlich musste der Stärkere, auch wenn er nicht das Gesamtreich in die Hand bekam, so doch nach dem Grundsatz der Teilungen des 9. Jahrhunderts über die Teilreiche zu stehen kommen. Unter diesem Gesichtswinkel fügen sich die wenigen Daten aus Heinrichs Außenpolitik zu einem Gesamtbild zusammen, das ihn ganz in der Aufgabe und der Ideenwelt des Reiches zeigt. Der Mönch Richer von Reims erzählt zu Ende des 10. Jahrhunderts von alten Beziehungen Heinrichs, schon aus der Herzogszeit, zu Karl dem Einfältigen. Manches ist daran unrichtig und unmöglich, so die Auffassung von Heinrichs Einsetzung ins Herzogtum Sachsen durch den Westfranken; oder -die Behauptung, Heinrich sei vom Reiche aus gegen -die Slawennot zum König der Sachsen bestellt worden, da König Karl noch in den Windeln lag. Aus allem wird doch die das 10. und 11. Jahrhundert mit dem 9. verbindende Idee der Reichseinheit deutlich. So wird Heinrich selbst verständlich. Mag die verworrene Lage Lothringens sein Eingreifen erheischen und mögen ihn die lothringischen„Parteien immer wieder rufen, die Berechtigung dafür liegt ebenso in Heinrichs Karolingerstellung wie in seiner kraftvollen Persönlichkeit. Dass er schon 920 den neuen Bischof von Lüttich gegen den Einspruch des Franzosenkönigs hielt, dazu würde das bloße Hilfegesuch des Bischofs nicht als Rechtfertigung genügt haben. Als 922 König Rudolf von Burgund die Tochter Burchards von Schwaben heiratete, benützte Heinrich die Gelegenheit, vom Burgunder die heilige Lanze der Lombarden zu fordern. Liudprand weiß später, dass Heinrich beim nämlichen Anlass ein gutes Stück Schwaben (bis gegen die Reuß). an den Burgunder abgetreten habe. Die Auslieferung der Lanze sei mit Drohungen erpresst worden. Und dafür die unverständliche Gegengabe? Beide Akte dürfen offenbar nicht gefühlsmäßig gedeutet werden. Die heilige Lanze weist nach der Lombardei und auf die große Aufgabe, die dort des Karolingererben harrt. Und die „Ehre“ der Gebietsabtretung wäre als Schenkung unverhältnismäßig und außer allem Brauch. Als Belehnung zog auch sie den Burgunder in Heinrichs Zukunftspläne. Anfangs November 926 erschien Rudolf auf einer Reichsversammlung in Worms. Sein Schwiegervater Burchard war kurz zuvor in der Lombardei gefallen. Schwaben war ledig; das mag mit den Anlass zur Reise gegeben haben. Aber seine Anwesenheit unter ausschließlich deutschen weltlichen und geistlichen Herren zeigt ihn doch dem Reiche näher denn nur als Gast. lm Juni 935 war Rudolf wieder mit„dabei, als Heinrich und Rudolf von Frankreich sich zur Festigung des Friedens am Chiers trafen. Das burgundische Interesse an allen Reichshandlungen erweist Rudolf als Glied des Reiches. In den Beziehungen zu Frankreich konnte es sich nicht um die Wiedervereinigung des Ostens mit dem Westen handeln. Das Wünschenswerte war der Fried- und Freundschaftsbund, den der November 921 brachte: der rex Francorum occidentalium verspricht dem rex orientalis Freund zu bleiben, und Heinrich be- schwört die „Festigkeit der Freundschaft“ auch seinerseits. Das hing dann freilich mehr von den Verhältnissen im Westen als vom deutschen König ab. Aber gerade die Entwicklung hielt die Vergangenheit lebendig. Die Synode rheinischer und Westfälischer Bischöfe in Koblenz 922 beriefen die beiden Könige gemeinsam. Noch 934 vermittelte Heinrich zwischen Rudolf von Westfranken und dessen lothringischen Gegnern. Dabei war ia nun Lothringen im Spiel; die Einmischung war also natürlich, schließt aber doch ein Maß von Zuständigkeit in sich.
Heinrich I. hätte, wie Widukind zeigt, auch den Weg der Karolinger nach Rom eingeschlagen, sobald es die Verhältnisse gestatteten, wenn nicht ein Mächtigerer dazwischengekommen wäre, der Tod. Das Kaisertum war Patronat der Gesamtkirche. Dazu bedurfte es einer überlegenen Macht, und die wurde erst durch die Beseitigung der antichristlichen Gefahren, die Abwehr der Slawen und Ungarn, offenkundig.