Antisemitismus

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Antisemitismus. Der Ausdruck – geprägt um 1880 – ist eine Fehlbildung, da sich der Antisemitismus nur gegen die Juden, nicht aber gegen andere Angehörige der semitischen Sprachfamilie, etwa die Araber, richtet. Die Judenfeindlichkeit (Antijudaismus) kam vom 5. Jh. v. Chr. an in den Diasporagemeinden in Assyrien, Babylonien und Oberägypten auf, und war eine Reaktion auf den radikalen jüdischen Monotheismus und die Exklusivität und Geschlossenheit jüdischer Gemeinden in den Wirtsländern. Auch als das Judentum im Röm. Reich als “religio licita” anerkannt worden war, war es das Ziel von Gräuelpropaganda – diesmal wahrscheinlich aufgrund von Neid und Hass wegen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Erfolge. Die christl. Kaiser (Konstantin d. Gr., Theodosius II., Justinian) machten die Juden per Gesetz rechtlos, wodurch die Pogrome bis ins hohe Mittelalter reichsrechtlich sanktioniert waren. Auch im christlichen Abendland dürfte der Antijudaismus von jeher latent vorhanden gewesen sein und gründete in der religiösen und sprachlichen Andersartigkeit der Juden, teils auch in deren geschäftlichem Erfolg. Andersartigkeit hat Ablehnung und Hass, Erfolg hat Neid zur Folge. Im Christentum war Judenfeindlichkeit von Anfang an angelegt. Im letzten der Evangelien lässt Johannes Jesus – obgleich selbst Jude – die Juden insgesamt verdammen: “Ihr habt den Teufel zum Vater”. Paulus sagt: “Die Juden haben den Herrn Jesus getötet und gefallen Gott nicht”. Im Matthäus-Evangelium verfluchen sich die Juden selbst, als sie von Pilatus die Hinrichtung Jesu verlangen: “Sein Blut komme über uns und unsere Kinder”. Kirchlicherseits waren die Juden schon seit jeher als Christusmörder diffamiert worden, so von dem hl. Johannes Chrysostomos, einem der Kirchenväter. Der hl. Augustinus bezeichnete sie als “Verfemte”, weil sie die Erlösung durch Christus nicht anerkennen wollten, sprach von ihrer ewigen Knechtschaft (Servitus Judaeorum). Die Zerstreuung der Juden in alle Welt galt als Strafe für ihre Feindschaft gegen Jesus und ihre Ungläubigkeit. Diese Grundhaltung der Kirche war in den aufgeregten Zeiten des ersten Kreuzzugs verantwortlich für die Pogrome im Rheinland (1096) und anderswo (s. Kreuzzüge). Auch wohlmeinende Bischöfe konnten dem fanatisierten Volk keinen Einhalt mehr gebieten. Der Prediger Berthold von Regensburg (ca. 1210 – 1272) trat zwar vordergründig für den Schutz der Juden ein, brandmarkte sie jedoch als Gottesmörder: “Und jedes Mal, wenn ein Christ einen Juden sieht, soll er daran denken: Du bist auch einer von denen, die unseren Herrn Jesus Christus … gemartert haben.” Kirchliche und weltliche Verfügungen des 11. – 13. Jh. schränkten die Juden in ihren Rechten immer weiter ein und stigmatisierten sie durch besondere Kleiderordnungen. Thomas von Aquin (1224-74) lehrt in seiner “Summa Theologiae”: “Da die Juden ewiger Knechtschaft überliefert sind, können Fürsten über ihre irdischen Güter wie über ihr Eigentum verfügen” und gab somit einen theologisch abgesicherten Freibrief für Ausbeutung durch Steuern und Enteignung.

Eindeutig judenfeindlich war auch die Einstellung der meisten Päpste. Einige prominente Beispiele: Gregor I. der Große hielt die jüdische Religion schlichtweg für Aberglauben, untersagte Bau und Erweiterung von Synagogen und jede jüdische Missionstätigkeit. Alexander III. untersagte Christen, in jüdische Dienste zu treten und sah die Daseinsberechtigung der Juden nur darin, dass sich in ihrem Unglück die Herrlichkeit Christi spiegele. Gregor IX. bezeichnete sie als “Gotteslästerer”, als “Lästerer des Blutes Christi” und goss die “ewige Knechtschaft” der Juden in seinem “Liber extra” in juristische Form. Innozenz IV. forderte in seinem Dekretale “Impia Judaeorum Perfidia” zur Verbrennung aller erreichbaren Talmudexemplare auf. Nikolaus IV. rief in seiner Bulle von 1288 die Inquisitoren, weltliche und geistliche Herrschaftsträger zur Verfolgung der Juden auf.

Als im 14. Jh. neben anderen Katastrophen (Heuschreckenplagen, Hungersnöten, Erdbeben, Strumfluten) verheerende Seuchenzüge endzeitliches Grauen verbreiteten, suchte man die Ursache bei den Juden, die aus Hass die Christenheit Brunnen und Quellen vergiftet hätten. Nunmehr wurden ganze Judengemeinden ins Feuer getrieben. Der Antisemitismus kam auch nicht zum Erlöschen, als im 15. Jh. die deutsche Judenheit durch Ausrottung und Abwanderung dezimiert war.

Ikonologischer Ausdruck der Judenfeindschaft waren: Hakennase, Judenbart, Schläfenlocken, Judenhut bzw. Turban, Judenrock und Judenfleck. Dazu kamen als Attribute Geldsack, Schächtmesser und Augenbinde (Zeichen jüdischer Blindheit gegenüber der jesuanischen Lehre).

Abschließend sei bemerkt, dass dem Antijudaismuus des Mittelalter der Rassismus unserer Zeit fremd war.

(s. Blutfrevel, Brunnenvergiftung, Hostienfrevel, Judengesetze, Judenpogrom)

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