Bücherverbrennung

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Bücherverbrennung (Biblioklasmus, v. grch. biblion = Buch und klan = zerbrechen; lat. librorum incendium). Die kirchlicher- oder staatlicherseits demonstrativ ausgeführte Vernichtung von Codices, Schriftrollen oder Büchern durch Verbrennen, Zertreten, Zerschneiden oder Zerreißen (destruere und/oder comburere). Anlass zu der Maßnahme gaben Vorwürfe abweichender moralischer, politischer, religiöser oder abergläubischer Vorstellungen. Als Gutachter und Zensoren fungierten Synoden, Konzilien, Päpste, Bischöfe und Inquisitoren – also hauptsächlich Theologen, seltener Juristen. Der Beschluss, ein Buch auszurotten, fußte auf einem Synodalbeschluss oder einem weltlichen oder geistlichen Gerichtsverfahren – evtl. unter Hinzuziehung von Experten und Untersuchungskommissionen – sowie einem entsprechendem Urteil (condemnatio, damnatio, reprobatio).

Vorbild für die Exekution verdammter Literatur dürfte das Beispiel der Verbrennung magischer Schriften anlässlich einer Missionsreise des Paulus (Apostelgeschichte 19,19) gewesen sein; dabei sollen bekehrte Zauberer freiwillig eine große Anzahl ihrer Zauberpapyri im Wert von 50.000 Denaren “coram omnibus” dem Feuer übergeben haben. Bei vielen Schriftenverbrennungen folgten allerdings die Autoren ihrem wegen Hochverrats, Ketzerei, Wahrsagerei, Zauberei oder Morallosigkeit indiziertem Werk ins Feuer.

Nachdem die antik-pagane und -polytheistische Literatur sowie Lehrschriften der Manichäer und Arianer vernichtet worden waren gab es bis zum 12. Jh. nur vereinzelte Verbrennungen, nunmehr schismatisch-christlicher (heterodoxer) Schriften.

Wofern eine Bücherverbrennung in engem Kontext mit der Verbrennung des Autors inszeniert wurde, konnte diese jener vorausgehen, und so die Spannung des Publikums erhöhen, oder beide geschahen zeit- und ortsgleich , um den Zusammenhang zwischen dem Delinquenten und seinem Werk dramatisch darzustellen, oder aber die Bücherverbrennung wurde als Epilog in Szene gesetzt, um so die endgültige Vernichtung nicht nur des Ketzers, sondern auch seiner häretischen Gedanken zu betonen.

Nicht verbindlich vorgeschrieben, aber auch nicht unüblich war, dass die zu verbrennenden Schriften zur Liqudation an die weltliche Gerichtsgewalt übergeben wurden.

Einige wenige Beispiele von Büchervernichtungen für das spätere Mittelalter:

1121 wurde Peter Abaelard durch das Konzil von Soissons gezwungen, seine Schrift über die Heilige Dreifaltigkeit zu verbrennen.

1200 wurden – wohl auf Anordnung durch Bischof Odilo von Metz – Bibeltexte zerrissen, welche bei den Waldensern in volkssprachlichen Übertragungen umliefen (libros de Latino in Romanum versos).

Während der Verfolgung der ® Katharer ließ der mit der Ketzerbekämpfung beauftragte Dominikus von Calaruega die Schriften der Katharer oder Albigenser ins Feuer werfen.

1232 wurden in Montpellier auf Betreiben jüdischer Antimaimonisten Schriften des Moses ben Maimon (“Maimonides”, gest. 1204) vernichtet (“Buch des Wissens”; “Führer der Unschlüssigen”).

Ebenfalls 1232 verbrannten in Bologna Zauberbücher (libri maleficiorum). Ab da kam es – entsprechend der Zunahme der Magie und der Zaubereiprozesse – zu vermehrten Vernichtung nigromantischer Schriften.

1242 kam es auf Anordnung von Papst Gregor IX. zur wohl größten Schriftenverbrennung des Mittelalters: in Paris wurden sämtliche in Frankreich, England, Portugal und dem nicht-maurischen Teil Spaniens aufgespürten Talmud-Exemplare (in maxima multitudine) zu einem Scheiterhaufen aufgeschichtet und während zweier Tage verbrannt.

1299 brannten auf Veranlassung einer Generalversammlung in Lyon Schriften des Franziskanerspiritualen ® Petrus Johannes Olivi. Die “Lectura super Apocalypsim” des gleichen Autors kam 1326 in Avignon auf Befehl von Papst Johannes XXII. zur Exekution.

Im Herbst 1300 wurde auf Befehl des Bischofs von Paris die Schrift “De tempore adventus Antichristi” des Arnaldus Villanovanus (Arnaldus de Villanova) vernichtet.

1326 ließen die Gelehrten der Pariser Universität die Schrift “Defensor pacis” des ® Marsilius von Padua vernichten.

1329/30 vernichtete man in Bologna auf Betreiben eines päpstl. Legaten die Schrift “Monarchia” des ® Dante Alighieri

Am 6. Juli 1415 verbrannten vor dem Münster in Konstanz zur gleichen Zeit wie ihr Verfasser die Schriften des ® Jan Hus auf einem Scheiterhaufen. Schon anno 1410 waren in Prag auf Weisung des dortigen Erzbischofs Hus´sche Schriften zusammen mit solchen des ® John Wyclif öffentlich und zeremoniell (publice et solemniter) eingeäschert worden.

Was die technische Ausführung der Bücherverbrennung anbetrifft, so dürfte man Holzstöße aufgeschichtet und Gerüste errichtet haben, die je nach Menge und Format der Bücher von unterschiedlicher Größe waren. Auch sind kupferne Feuerbecken erwähnt (vas aeneum …, plenum igne) sowie Kessel mit Kohlefeuer (… magna patella, ubi erat magnus ignis carbonum). Zum Schüren bediente man sich langstieliger, zweizinkiger Gabeln und wohl auch eines Blasebalgs. Nicht überliefert ist, was aus der Asche wurde, wenn das Feuer seine Wirkung getan hatte.

Der Ort der Exekution hatte allgemein zugänglich zu sein (“publice coram clero et populo”) und war üblicherweise unter freiem Himmel und vor einer Kirche gelegen.

In der bildenden Kunst des Mittelalter haben Bücherverbrennungen vielfachen Niederschlag gefunden; so, beispielsweise

als Buchillustration (z.B. in einem Antichrist-Blockbuch aus Nürnberg, um 1450 oder in der “Berner Chronik” des Diebold Schilling, wo die Verbrennung des Hus samt fünf wuchtigen Codices zu sehen ist; um 1480);

als Fresko (z.B. der Basilica del Santo in Padua von 1376/77);

als Holzrelief (am Hochalter der Schlosskirche von Winnenden, 1520);

als Tafelgemälde (z.B. das Tafelbild “Verbrennung der Eitelkeiten”, Histor. Museum, Bamberg, um 1470);

als Altarbild (Dominikus-Tafel aus der Kirche San Miguel in Tamarite de Litera, Barcelona, Museu Nacional d’Art de Catalunya; 14. Jh.);

als Glasmalerei (in den Kathedralen von Chartres und Bourges; alle 1. Hälfte 13. Jh.)

zu Anfang des 16. Jh. auch als Tapisserie (Augustinus-Bildteppich, National Gallery, Edinburgh).

(s. Autodafe, Berengar von Tours, Gottesurteil, Gottschalk der Sachse, Turlupins)

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