Henker

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Henker (mhd. henger, henker [erstmals erwähnt in Augsburg, 1276], v. mhd., ahd. henken = jemanden [am Galgen] aufhängen; auch wizaere, wizegaere [v. wize = Strafe, Tortur], zuchtiger, carnifex, Nachrichter, Scharfrichter, Blutvogt oder volkstümlich-bildhaft Angstmann, Kurzab, Knüpfauf bzw. verhüllend Meister Hans, Freimann; lat. iugulus = Halsabschneider, suspensor = Henker). Die Hinrichtung war im Frühmittelalter Sache der Klagepartei (eines Einzelnen, einer Sippe oder einer ganzen Gemeinde) oder bestellter (königlicher oder gräflicher) Schergen. Nachdem im 12. Jh. die Grafschaftsgerichte durch die Landgerichte abgelöst worden waren, wurde meist der Fronbote (Gerichts-, Amtsbote, Büttel, Weibel) mit dem Scharfrichterdienst betraut. Dieser richtete eigenhändig nur Vollrechtsfähige (Freie, “Schöffenbare”) hin, Leute minderen Standes überließ er seinen Helfern, den niederen Henkersknechten. Der Fronbote war ein geachteter Mann, der vom Richter und den Schöffen meist aus dem Stand der freien Bauern erwählt wurde und durch Königsfrieden und doppeltes Wergeld geschützt war. Gemäß dem Sachsenspiegel durfte er “die leut ohne sünd wol peinigen und tödten. Ja er thut daran ein Gottes werck, das er den sünder umb seiner sünde willen straffet. Dann damit wird Gottes zorn versunet”. Erst als um die Mitte des 13. Jh. die Verhängung von Leib- und Lebensstrafen massiv zunahm, schied sich das Amt des Henkers von dem des Fronboten, wurden zum Vollzug der peinlichen Befragung, der Züchtigungs- und Todesstrafe Leute niederen Standes, fallweise auch Fahrende, Zigeuner, “Dallinger und Spaßmacher”, angestellt. Erste urkundliche Erwähnung eines professionellen Henkers findet sich im Augsburger Stadtbuch für 1276. Als spätes Zeugnis für die Diffamierung des Standes nennt V. Groebner eine Berner Vorschrift von 1471, derzufolge der städtische Henker “ein kleines silbernes Abzeichen in Form eines Galgens” zu tragen hatte.

Das professionalisierte Scharfrichter-Handwerk erforderte eine intensive Ausbildung, die meist schon früh begonnen und gelegentlich schon im Alter von 16 Jahren mit der Meisterprüfung abgeschlossen wurde. Dabei mussten Fertigkeiten in diversen Folterungs-, Verstümmelungs- und Tötungsarten, aber auch in der Versorgung der durch Folter angerichteten Schäden (Brandwunden, Verrenkungen, Frakturen) nachgewiesen werden. Entlohnung erfolgte entweder je nach erfolgter Dienstleistung (Sporteln für Hinrichtungen, Körperstrafen, Folterungen) oder als Festbezug je nach Dienstzeit (Jahres-, Quartals-, Wochengehalt). Dazu kamen Nebeneinkünfte aus dem Verkauf von Arme-Sünder-Reliquien (etwa Diebesdaumen, Armsünderschmalz, Schelmbein), aus medizinischen Dienstleistungen, aus Anteil an der Habe eines Hingerichteten sowie Vergünstigungen bei Unterbringung (Dienstwohnung) und Naturalleistungen (Feuerholz, Korn). Der Nachwuchs entstammte üblicherweise der eigenen Familie, da den Kindern des Henkers eine ehrliche Lehre nicht zugänglich war.

Eigene Scharfrichter konnten sich nur reiche Gemeinwesen leisten, ärmere mussten im Bedarfsfalle einen engagieren. Sie haten sich durch auffällige Sonderkleidung (etwa in Mi-parti) oder Abzeichen (s.o.) kenntlich zu machen und verfielen alsbald der Verfemung (s. unehrliche Leute). Hieran war die Kirche, auf deren Betreiben hin Viele erst als Delinquenten dem Henker zugeführt wurden, maßgeblich beteiligt, indem sie den Blutvergießer als unchristlich diffamierte und ihn von Kommunion, kirchl. Trauung und christl. Begräbnis ausschloss. Einmal unehrlich gemacht, wurden dem Henker auch andere niedere Dienste aufgetragen: er mußte Kadaver beseitigen und Latrinen leeren, Aussätzige aus der Stadt treiben, Dirnen beaufsichtigen, streunende Hunde fangen u.ä.m. Die Tabuisierung ging so weit, dass er außerhalb oder am Rande der Stadt wohnen musste, unbescholtenen Bürgern fernzubleiben hatte, dass seiner Frau keine Hebamme helfen wollte und sich bei seiner Beerdigung keine ehrlichen Leute als Sargträger fanden. Überdies ging die Ehrlosigkeit auf Kinder und Kindeskinder des Henkers über und förderte die Ausbildung ganzer Henkersdynastien. Dem derart tabuierten Mann des Todes wurden magische Kräfte nachgesagt; man suchte ihn auf, um Rat in Krankheitsfällen zu erwerben und um glückbringende oder schadenabwehrende Mittel zu erwerben. Als besonders wirksam galten Körperteile von Hingerichteten, Teile von Galgen und Blutgerüst, von Rad und Galgenstrick. Seiner heilkundlichen Fähigkeiten und anatomischen Kenntnisse wegen, die er sich bei dem amtlich befohlenen Gesundpflegen freigesprochener Folteropfer und bei seiner Folter- und Hinrichtungstätigkeit erworben hatte, genoss er schaurig-achtungsvolles Ansehen.

Im SMA., als der Henker dem Inquisitionstribunal als Foltermeister zur Seite stand, wurde er nicht selten zum reichsten Mann der Stadt. Erkauften doch die geistlichen Terroristen sein Schweigen über ihr unsägliches Treiben oft und teuer genug. (Aus der lapidaren Kürze der Vernehmungsprotokolle scheinen die grässlichen Prozeduren nicht auf, welche zum Zwecke der “Wahrheitsfindung” verordnet wurden.

(s. Folter, Hinrichtung, Todesstrafen)

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