Heuschreckeneinfälle

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Heuschreckeneinfälle (v. mhd. hou-schrecke, -schricke, -sprinke, matschrecke). Wanderheuschrecken (Locusta migratoria) – eine der ägyptischen Landplagen des Alten Testaments – haben im Mittelalter mehrfach auch Mitteleuropa heimgesucht. Die Insekten wandeln sich unter bestimmten Bedingungen (Futtermangel, Einengung des Lebensraumes, Stress durch vermehrte Berührungskontakte untereinander) von der Solitär- zur Schwarmphase; dabei häuten sie sich mehrmals, wechseln die Farbe von braun-beige zu gelb-orange und entfalten ihre Flügel. Nun erst machten sie sich aus ihren Brutgebieten um das Schwarze und Kaspische Meer auf die Wanderung und kamen – begünstigt durch südöstliche Windströmungen – über Galizien und Polen bis nach Frankreich und England. Nachdem sie während der Sommermonate unermessliche Schäden an der Flora – besonders an den Feldfrüchten, nicht aber an den Rebstöcken – angerichtet hatten, erlagen die Schwärme jeweils der anbrechenden Winterkälte. Folgen der Plage waren Verluste an Feldfrüchten und Viehfutter sowie Teuerung und Hunger. Zur Abwehr der Insekten rief man die Heiligen Hermolaos, Hermippus und Hermokrates sowie St. Pantaleon an, veranstaltete Bittprozessionen, belegte die Schädlinge mit dem Kirchenbann, läutete die Glocken und lärmte auch anderweitig. Konrad von Megenberg nennt sie in seinem ” der Natur” als “die würm” oder “die häuschrecken” und weiß, dass sie “wahsent von dem sudenwint … und sterbent von dem nordenwint…. Die Häuschrecken snurrent mit ir flügeln in dem flug, daz man waent, ez seint reht vogel, und habent auf der schultern zuofüegung ain scherpfen sam zend [eine Schärfe mit Zähnen] und die scherpfen wetzend si an enander, sam ob si zandklaffen [als ob sie mit Zähnen klapperten]”.

Ein erstes Auftreten von Heuschrecken in Europa beschreibt Gregor von Tours für 584, als sie die iberische Halbinsel heimsuchten. Paulus Diaconus beschreibt in seiner “Historia Langobardorum” eine Heuschreckenplage im Trientiner-Land in den Jahren 590 und 591. Von Heuschreckeneinfällen berichten mittelalterliche Chroniken für die Jahre 873, 1242, 1338, 1339, 1340, 1362, 1364 und 1366. (Die Annales Fuldenses berichten für das Jahr 873: “In diesem Jahr …hat eine Plage ganz neuer Art, die zum erstenmal unter dem Stamme der Franken sichtbar wurde, das germanische Volk infolge seiner Sünden nicht wenig getroffen. Würmer nämlich, wie Heuschrecken, mit vier Flügeln und sechs Füßen kamen von Osten und bedeckten wie Schnee die gesamte Oberfläche des Landes, wo sie alles, was auf Äckern und Wiesen grün war, verzehrten. … Als sie nach Westen abgezogen waren, kamen wieder neue, und zwei Monate hindurch boten sie mit ihrem Flug fast täglich ein schreckliches Beispiel.” Zum Jahr 1338 schreibt K. v. Megenberg: “Do kamen so vil häuschrecken geflogen von Ungarn durch Österreich und durch Paiern auf über den Sand den Main ab gegen den Rein, daz so vil getraides verderbte auf dem veld, daz manich gäuman verdarb.” Im gleichen Jahr wurde der junge zukünftige Kaiser, Karl von Mähren, von seinem Kammerdiener mit den Worten geweckt: “Herr, steht auf, der Jüngste Tag bricht an.! Die Welt ist voller Heuschrecken.” – Im Vorfrühling des gleichen Jahres beschreibt Karl selbst einen Heuschreckenschwarm, und zwar als nüchterner, von apokalytischen Ängsten seiner Zeit freier Beobachter. Er schildert dessen Größe, seine Dichte, die die Sonne verdunkelte, den Lärm und den üblen Geruch den er verbreitete und wie er sich in mehrere Teilschwärme teilte.)

Bedingt durch den Klimawandel vom milderen Frühmittelalter zum kühleren Hochmittelalter traten zwischen dem 9. und dem 13. Jh. keine Heuschrecken in Europa auf.

Ebenso wie in anderen Naturkatastrophen der Zeit, wie Erdbeben, Seuchen und Unwetter, sah man in den Heuschreckenplagen ein vom Schöpfergott wegen der Unbotmäßigkeit seiner Kinder zugelassenes Teufelswerk. Fallweise sah man auch in den Juden die Ursache für die Plage; so etwa in Straubing, wo man 1338 die jüdischen Einwohner nach einem Heuschreckeneinfall verbrannte (“Hoc anno volavit multitudo locustarum. Eodem anno cremati sunt Judei in Straubing”).

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