Inquisitionsprozess (kirchl

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Inquisitionsprozess (kirchl.). Der kirchliche Inquisitionsprozess, wie er vor allem in Frankreich, Italien, Deutschland, Böhmen und Spanien praktiziert werden sollte, galt ursprünglich pflichtvergessenen und übel beleumundeten Priestern, denen mit dem bislang geltenden Akkusationsprozess nicht beizukommen war. Die Bischöfe sollten in solchen Fällen nach eigenem Ermessen ein Verfahren durchführen (Infamationsverfahren, v. lat. fama = Ruf, Leumund).

Ende des 12. Jh. verschärfte Innozenz III. die bis dahin nach kirchl. Recht übliche Prozessform dadurch, dass er die Klageerhebung ex officio, per denuntiationem et inquisitionem einführte und das Gottesurteil sowie den Reinigungseid mit und ohne Eideshelfern als prozessuale Mittel zurückstufte. Dieses Verfahren wurde 1215 durch das IV. Lateranum bestätigt und bald ins weltl. Recht übernommen. Da Verurteilung nur bei vollem Beweis, also bei Geständnis oder wenigstens übereinstimmenden Zeugenaussagen möglich war, entschloss man sich, die nach Röm. Recht mögliche Folter in das weltl. Recht einzuführen. Gefoltert wurde ursprünglich nur bei criminis publicis (Aufstand, Verrat), später auch bei Kapital- und Majestätsverbrechen. Nachdem Innozenz III. 1199 die Ketzerei in den Rang eines Majestätsverbrechens versetzt hatte (Bulle “Ad abolendam”), fand unter Innozenz IV. 1252 die Folter Eingang auch in kirchliche Strafverfahren (Bulle “Ad extirpanda”). Das sich auf dieser Basis etablierende Ketzerverfahren, auf dem auch der Hexenprozess beruhte, schränkte die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten drastisch ein.

In einem zur Nachforschung bestimmten Gebiet wurde die Bevölkerung vom Klerus zusammengerufen (citatio generalis), um mit dem Zweck und den Modalitäten der Inquisition bekannt gemacht zu werden. Nach einer Bedenkfrist (tempus gratiae) von üblicherweise 30 Tagen, während welcher umkehrbereiten Ketzern Straferlass zustand, wurde das Verfahren ohne Kläger, ex officio – auf Verdacht oder Denunziation hin – vom Inquisitor eröffnet und unter strikter Geheimhaltung durchgeführt. Den Unschuldsbeweis musste die/der Beschuldigte erbringen, dem Gericht stand die Folter zur Verfügung, um ein beweiskräftiges Schuldeingeständnis zu erlangen. Vorsitzender des Inquisitionsgerichts war der geistliche Inquisitor – Ankläger, Wahrheitsfinder und Richter in einer Person. Ihm assistierten Folterknechte und ein Schreiber, dem er die Prozessakten diktierte, “wie er am besten die Wahrheit ausdrückte”. Die Befragung folgte anhand von feststehenden Fragekatalogen, was die auffällige Konstanz der erfolterten Bekenntnisse wenigstens zum Teil erklärt. Die Urteilsverkündung hatte öffentlich zu erfolgen.

Nach Beendigung eines Prozesses werteten die Inquisitoren die Akten hinsichtlich belastender Aussagen gegen Dritte aus. Es kam zu weiteren Vorladungen – und bei ausreichenden Verdachtsgründen – zu Inhaftierungen und Eröffnung weiterer Verfahren. Bei minderschweren Anklagen konnte die Haft durch einen Gehorsamseid oder durch Hinterlegung eines Pfandes abgewendet werden.

Von der zweiten Hälfte des 15. Jh. an fand das Inquisitionsverfahren ein sich ständig erweiterndes Betätigungsfeld in dem wie ein Steppenbrand auflodernden Hexenwahn, der wiederum durch die abstrusen Geständnisse der Gefolterten kräftig genährt wurde und Hexen in wachsender Zahl hervorbrachte (s. Hexenprozess).

Inquisitionsprozesse mussten nicht damit enden, das der Inquisit aufgrund seiner Verstocktheit oder wegen Rückfälligkeit der weltlichen Gerichtsbarkeit zur Aburteilung überstellt wurde. Die beklagte Person konnte auch ihrem Irrtum öffentlich abschwören (mhd. abeswern; lat. abiurare) und eine auferlegte Buße annehmen. Sie empfing dann die purgatio canonica und galt als wiederversöhnt (rekonziliiert).

Es hat auch Inquisitionsverfahren gegeben, die post mortem begonnen wurden bzw. erst nach dem zwischenzeitlich eingetretenen Tod eines schon angeklagten und eingekerkerten Delinquenten zu Ende geführt wurden. Sollte dabei darauf erkannt werden, dass der Beklagte im Zustand der Häresie verstorben sei, so wurde sein Leichnam (corpus seu cadaver) aus der geweihten Kirchhofserde exhumiert und öffentlich verbrannt. Vor oder nach der Verbrennung kam es zu einer Verdammung und Auslöschung der memoria des Toten (damnatio et deletio memoriae). Das immerwährende Vergessenwerden stellte eine weitere Strafverschärfung dar, “schlimmer als der Tod”, “noch über die Todesstrafe” hinausgehend (Harald Weinrich).

Kleriker durften bei bei einer Verbrennung nicht anwesend sein, ihnen war die Teilnahme an der Vollstreckung von Todesurteilen jedweder Art kirchenrechtlich untersagt. Davon ausgenommen war ein Beichtpriester, der bis zuletzt bei dem Delinquenten ausharren sollte, damit er ihn zur Umkehr und Reue anhalten und ihm eventuell das Abendmahl spenden konnte.

(s. memoria, Scheiterhaufen)

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