Kirchtürme

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Kirchtürme (mhd. kirchturne). “Die bedeutendsten mittelalterlichen Turmbauten sind Kirchen zugeordnet oder gar Bestandteile derselben” (Dietrich Conrad), jedoch haben nicht alle mittelalterliche Kirchen notwendig einen Turm – fehlt doch eine theologisch-kultische Notwendigkeit – und es hat sogar ausdrückliche Ablehnung steinerner Glockentürme an Kirchen gegeben (s. Zisterzienserkirchen). Als ältester zweifelsfreier Beleg für Kirchtürme wird eine Darstellung in einem Holzrelief aus dem 5. Jh. am Hautportal der Kirche S. Sabina in Rom angesehen. Als ältester erhaltener Kirchturm überhaupt gilt der Campanile der Kirche S. Apollinare in Classe in Ravenna (6. Jh.).

Mittelalterliche Kirchen nördlich der Alpen waren seit der Romanik mit Türmen verbunden. Diese zeugten vom Repräsentationsbedürfnis der Bauherren (Bischof, städt. Rat), dienten als Glockenträger, Wehr- bzw. Fluchtbauten, Beobachtungsplattform und weithin sichtbare Wahrzeichen und Orientierungshilfen. Mächtige Einzel- oder Doppeltürme beherrschten die Westfassade, bescheidenere Türme flankierten das Westwerk oder standen in dem Winkel zwischen Querbau und Apsis, auch in dem zwischen Querbau und Langhaus, oft wurde die Vierung von einem massigen Turm überragt. (Vierungstürme waren konstruktiv besonders heikel, da ihnen ein durchgehender Unterbau fehlt und die Lasten nach außen abgeleitet werden mussten.) Vieltürmigkeit war ein Kennzeichen der Romanik, wogegen in der got. Stilepoche die Zahl der Türme auf 2 oder 1 reduziert wurde. Einzeltürme erscheinen fast ausschließlich im deutschen Reichsgebiet einschließlich der Niederlande.

Beeindruckt an romanischen Türmen der burgartig massige und gedrungene Baukörper, so überwältigen an den Türmen vor allem deutscher gotischer Kathedralen der himmelsstrebende Elan, die ungebrochen bis zur Spitze sich verjüngenden Fluchten und die filigrane Leichtigkeit des Materials.

Die Turmspitzen waren in der Romanik als Pyramiden-, Kegel- oder Satteldach, in der Gotik als spitzer Turmhelm ausgebildet. In der engl. und franz. Gotik wurde häufig auf Turmspitzen verzichtet die Türme endeten mit einer Plattform. Unklar ist, ob diese Form der Planung entsprach oder durch Einsturzgefahr oder durch Geldmangel erzwungen wurde. Das Letztere war auch bei manchen Großkirchen in Deutschland der Fall, deren Turmspitzen man erst in der Neuzeit vollendete (s.u.). Die konstruktiven Möglichkeiten gotischer Bautechnik (Gewichtsreduzierung durch Maßwerkbauweise) ermöglichten neue Höhenrekorde: der Turm des Ulmer Münsters ist 162 m hoch, der des Straßburger Münsters 142 m, der des Freiburger Münsters 115 m, die Kölner Domtürme messen 160 m.

Der quadratische Grundriss der Untergeschosse verweist über die Vierzahl auf deren Erdgebundenheit und Diesseitigkeit. Der Grundriss der oberen Geschosse geht häufig zum Achteck über, was deren Nähe zu himmlischen Sphären, zu himmlischer Seligkeit symbolisiert (s. Zahlensymbolik).

Im Umland von Nürnberg-Fürth und am Obermain zwischen Bamberg und Lichtenfels findet sich häufig der sog. “Fünfknopf”, ein Kirchturm mit Spitzhelm und vier Scharwachttürmchen an den Ecken (Burgfarrnbach, Bruck b. Erlangen, Hannberg, Heroldsberg, Schnaittach usf.).

Im Fränkischen war häufig das Obergeschoss des Kirchturms in Fachwerk ausgeführt, so z.B. in Unterregenbach und Buchenbach a.d. Jagst, in Ingelfingen/Neckarfranken, in Junkersdorf/Unterfranken, in Unterreichenbach bei Schwabach , in Wiedersbach bei Ansbach, in Schnaid/Steigerwald und in Rasch/Mittelfranken.

Bei weitem nicht alle Kirchtürme wurden im Lauf des Mittelalter zu Ende gebaut. Limitierende Faktoren waren Schwierigkeiten beim vertikalen Materialtransport, Zeit- und Kraftverluste der Arbeiter auf dem Weg zur Arbeitsplattform, mit der Höhe zunehmende störende Windeinflüsse und schwindende Finanzreserven. Viele Kirchtürme blieben unvollendet, die Türme der Dome zu Köln, Ulm, Regensburg und Prag wurden erst im 19./20. Jh. fertiggestellt. Manche Türme waren zu kühn angelegt und sind eingestürzt (z.B. bei St. Marien in Rostock und Stralsund).

Seit es Kirchtürme gab, gab es auch den Turmwächter (s. Glöckner, Türmer), der auf seinem alles überragenden Posten Ausschau übers Land hielt und die Bewohner ringsumher mit der Sturmglocke vor Feuer, plündernden Räuberhorden, nahendem Sturm, Hagel oder Hochwasser warnte.

(s. Dachreiter, Helm (Arch.), Turm, Turmuhren, Westwerk, Wetterfahne; Wehrkirchen s. Kirchenburg)

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