Pest

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Pest (v. lat. pestis, pestilentia = Seuche; mhd./mndd. sterbe, ain gemainer sterb, lantsterb, gemeiner louf, de grote dod, ein grot sterven; mlat. pestilentia maxima, mortalitas magna, atra mors. Als pestilenz wurde ursprünglich jede ansteckende Krankheit bezeichnet [etwa Cholera, Typhus oder Fleckfieber]; erst im 16. Jh., lange nach dem Auftreten der Bubonen- und der Lungenpest im 14. Jh., wurde die Wortbedeutung auf diese pandemisch verlaufende Seuche eingeengt.) Im 5. – 8. Jh. hatten meherer Pestschübe von Äthiopien her die Mittelmeerländer und Mesopotamien heimgesucht, jedoch nur selten Länder nördlich des Rhonegebiets erreicht, wie etwa die “Justinianische Pest” (benannt nach dem zu jener Zeit regierenden byzantin. Kaiser Justinian, 527-565), die 543 bis nach Westeuropa vordrang und z.B. in Reims und Trier viele Opfer forderte. Dieser Seuchenzug flammte, wie der Chronist Gregor von Tours berichtet, 571 noch einmal heftig auf, und sei noch verlustreicher verlaufen wie jener von 543-546. Den geschilderten Symptomen nach trat die Krankheit als Bubonen- wie als Lungenpest auf.

1347 griff “Das große Sterben” vom Schwarzen Meer aus auf europäische Mittelmeerhäfen über, erreichte 1348/49 Deutschland und breitete sich bis 1352 über fast ganz Europa aus (s. Handelsstraßen und Pestausbreitung). Sie traf auf eine durch Klimaverschlechterung und Hungersnöte geschwächte Bevölkerung und auf Städte, die durch den Zuzug der hungernden Landbevölkerung drastisch überfüllt waren, wodurch sich die ohnehin unzureichenden hygienischen Verhältnisse weiter verschlechtert hatten. Allein 1349 sollen nach Berichten an die vatikanische Camera Apostolica in Deutschland ca. 1.200.000 Menschen an der Pest gestorben sein. Nur wenige Regionen Mitteleuropas blieben von dieser ersten Pestilenz verschont, so Brabant, Hennegau, Böhmen, Mähren, Ungarn und Franken. Spätere Seuchenzüge (zwischen 1359 und 1495 – und weitere bis zum Ende des 17. Jh.) scheinen durch Erreger von abgeschwächter Virulenz verursacht gewesen zu sein.

Pest ist, nach heutigem Verständnis, eine hochkontagiöse, akute Infektionskrankheit, hervorgerufen durch Yersinia (Pasteurella) pestis. Die Infektion erfolgt primär immer vom Tier (s. Ratten) auf den Menschen, erst sekundär von Mensch zu Mensch. Der Erreger wird vom Rattenfloh (Xenopsylla cheopis) mit dem Blut aufgenommen, vermehrt sich in dessen Magen und wird beim Flohbiss durch Regurgitieren injiziert (Beulenpest; pestis inguinaria, morbus inguinarius), bzw. in Form einer Tröpfcheninfektion mit der Atmungsluft aufgenommen (Lungenpest). Das Erregerreservoir der Zoonose findet sich in Nagetieren, hauptsächlich in Hausratten (Rattus rattus), aber auch in Wanderratten, Mäusen oder Murmeltieren. Die Überträger sind Flöhe auf Nagern (die den Erreger auf andere Nager oder auf den Menschen übertragen) und der “Menschenfloh” (Pulex irritans, der als Vektor zwischen Mensch und Mensch fungiert). Da infizierte Ratten zumeist eingingen – nur wenige resistente Tiere überlebten und blieben als Erregerreservoir erhalten -, wurde die Rattenpopulation in einer Weise dezimiert, dass die schmarotzenden Rattenflöhe sich im Menschen einen neuen Wirt suchten und auch diesen ansteckten.

Je nach Eintrittspforte entwickelt sich Beulenpest (Flohstich) oder Lungenpest (verursacht durch Tröpfcheninfektion seitens eines septikämisch erkrankten Menschen oder durch hämatogene Erregeraussaat). Als Überträger können auch erkrankte Haustiere (Katzen, Schweine, Kälber, Hühner, Gänse) fungieren oder Tiere, die den Erreger im Fell oder Federkleid tragen, ohne selbst daran zu erkranken. Auch darf eine Übertragung durch kontaminierte Nahrungsmittel oder durch Schmutz angenommen werden, welche mit den Exkrementen pestkranker Ratten oder Menschen versetzt sind.

Die Beulenpest (auch Bubonen- oder Drüsenpest) hat ihren Namen von einer 2 – 5 Tage nach einem infizierenden Flohbiss auftretenden schmerzhaften, abszedierenden Schwellung besonders der Leisten-, Hals- und Achsellymphknoten. Bei einer milden Verlaufsform (“pestis minor”) ist nur ein Lymphknoten befallen. Bei Einbruch der Erreger in die Blutbahn (Septikämie) kommt es zu ausgedehnten kapillaren Hautblutungen (“Schwarzer Tod”) oder zur metastatischen (sekundären) Lungenpest, die beide meist tödlich enden. – Die primäre (aerogene) Lungenpest entsteht durch Einatmen von erregerbesetzten Wassertröpfchen, die von einem an Lungenpest erkrankten Menschen mit der Atemluft ausgeschieden wurden. Bei der Lungenpest wird das Lungengewebe durch Gewebstod (Nekrose) herdweise zerstört und ausgehustet. Die septikämische Verlaufsform ist begleitet von hohem Fieber, Erbrechen, Herz-Kreislaufschwäche, quälendem Kopfschmerz, Unruhe und Benommenheit oder Delirium. Eine überstandene Pesterkrankung verleiht langanhaltende Immunität.

Im Mittelalter war als einziges wirksames Heilmittel die Inzision der Pestknoten bekannt. Im Übrigen mengten sich wenige vernünftige Maßnahmen des ®”Regimen pestilentiae” mit eher kontraindizierten Anwendungen wie Aderlass oder Purgieren und mit vielen magisch-okkulten Praktiken. Zu Ersteren zählen rasche Leichenbestattung, Isolierung in Siechenhäusern, Quarantäne, Atemschutz, Verbrennen von Gegenständen, die unmittelbar mit Pestkranken in Kontakt waren, Lüften und Kalken von Pesthäusern, das Vermeiden körperlicher Anstrengung, Flucht aus befallenen Orten (“Cito longe fugas et tarde redeas”/”Fleuch pald, fleuch verr [weit], kum wider spot”). Von Letzteren sind zu erwähnen: Räucherwerk, Duftessenzen, allerlei Pillen (Pilulae pestilentiales) und Mixturen (Theriak), Tinkturen aus Krötenlaich oder Knabenurin, Amulette, Talismane, Pestblätter (mit Bildern von apotropäischen Zeichen und Schutzheiligen), auf die Pestbeulen gedrückte lebende Hühner usf. Als besonders mächtige Schutzpatrone galten Sebastian, Rochus, Christophorus, Borromaeus und die vierzehn hl. Nothelfer.

Über die Herkunft der Seuche wurden die abenteuerlichsten Spekulationen angestellt: Blaue Flämmchen, übelriechende Dünste (s. Miasma), krankmachender Regen, giftige Dämpfe (s. Pestgutachten) oder unheilvolle Planetenkonstellationen sollten die Pestbringer sein, und natürlich die Juden, die haufenweise umzubringen Rache und Vorbeugung zugleich war – hätten sie doch das Sterben durch Brunnenvergiftung ausgelöst. (Die Tatsache, dass Juden der Krankheit ebenso zum Opfer fielen wie Christen, wurde nicht beachtet.) Mancherorts wurde die Judenhatz auch bewusst mit dem Ziel in Szene gesetzt, materielle Vorteile zu erlangen – entledigte man sich doch mit der Person des Gläubigers auch seiner Schulden.

Bei der Befallsdichte bzw. der Sterberate ergaben sich Unterschiede je nach sozialem Stand und Beruf. Am meisten gefährdet waren expositionsbedingt Ärzte, Apotheker, Pfleger, Priester und Notare. Sodann Angehörige der lebensmittelerzeugenden und -verarbeitenden Gewerbe wie Müller, Bäcker, Schlachter. Weniger gefährdet waren Angehörige der Oberschicht, zumal wenn sie den Seuchengebieten entfliehen konnten, sowie – aufgrund der geringeren Rattendichte in ihren Gewerbebetrieben – Plattner, Schmiede, Tischler, Wagner und Büttner.

Die Heimsuchung war so überwältigend und grauenvoll, dass die Bevölkerung teils in dumpfe Lethargie verfiel, teils religiöse Hysterie entwickelte (s. Flagellanten, Veitstanz) oder sich in endzeitlicher Raserei sämtlichen irdischen Vergnügungen hingab. Daneben gab es auch leuchtende Beispiele von Umsicht, Mut und Humanität.

Bei Robert Fossier findet sich (“Das Leben im Mittelalter”, S.27) die Behauptung, “dass Menschen mit der Blutgruppe B gegen den Erreger der Pest immun sind und Regionen, in denen B vorherrscht, zum Beispiel Ungarn, von der Seuche fast oder ganz verschont blieben.” –

In der “Limburger Chronik” (1350) steht zum Ende des großen Seuchenzugs: “Darnach da das Sterben, die Geiselerfarth, Römerfarth, Judenschlacht … ein End hatte, da hub die Welt wieder an zu leben und fröhlich zu sein …”. 20 – 30 % der Bevölkerung waren ausgelöscht (Lübeck verlor1350 mehr als 50 % seiner Einwohner), ganze Dörfer und Landstriche lagen verödet. Der Bevölkerungsschwund zeitigte andererseits eine Konzentration des Besitztums, wodurch in der Folgezeit Handel und Gewerbe nach der Art eines Wirtschaftswunders wiedererblühten. Auch der Wert der Arbeitskraft erfuhr eine andere Einschätzung; waren doch derart viele Bauern, Landarbeiter und andere Arbeitskräfte durch Tod und Flucht ausgefallen, dass um die wenigen noch zur Verfügung Stehenden durch höhere Löhne geworben werden musste. Die Kirche und wohltätige Einrichtungen haben insofern vom Schwarzen Tod profitiert, als viele Erkrankte um des jenseitigen Heiles willen ihren irdischen Besitz in Stiftungen eingebracht haben.

(s. Judenpogrom, Pestarzt, Pestfriedhöfe, Pesthäuser)

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