Ungeheuer

Cinque Terre Forest
Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
Erkunde das Mittelalter: Über 3.979 Seiten und mehr als 6.400 Einträge bieten dir einen tiefen Einblick in diese Ära. Vom Ablass bis zur Zunftordnung - dieses eBook ist dein Guide durch die Geschichte, Gesellschaft und Kultur Europas von 500 bis 1500 n. Chr. Entdecke in „Leben im Schatten der Zinnen“ auf 122 Seiten die mittelalterliche Burgenwelt: Architektur, Alltag und ihre Rolle im Mittelalter kompakt erklärt.

Ungeheuer (mhd. ungehiure; v. ahd. hiuri = freundlich, lieblich, eigentl.: zum Hauswesen gehörend; lat. monstra = Zeichen, horrenda creatura = Schreckenswesen. Mischwesen aus Mensch und Tier oder aus mehreren Tieren). Die in der mittelalterliche Volksdichtung sowie in Fabeln, Bestiarien, auf Kirchenmalereien und Wappenbildern vorkommenden Monster entstammen zumeist der antiken, biblischen und germanischen Mythologie sowie orientalischen Sagen. Sie sind Ausdruck des allgemeinmenschlichen Bedürfnisses, Urängsten und aktuellen, unerklärlichen Bedrohungen, auch der Dämonenfurcht, feste Gestalt zu geben, sie in bildhafte Wesen zu bannen. Im Physiologus und anderen mittelalterliche Tierbüchern (s. Bestiarien) sind die Monstren in verbindlicher Form festgelegt. Zum Bestand mittelalterliche Ungeheuer zählten neben vielen anderen:

die Chimäre (ein Mischwesen mit Löwenkopf, Ziegenleib und Schlangenschwanz);

der ®Drache (mehrköpfiges, feuerspeiendes, mit häutigen Flügeln versehenes, langgeschwänztes Ungetier, dessen Blut der germ. Mythologie nach unverwundbar macht. Nach christl. Deutung die Verkörperung Satans);

der Lindwurm (linttrache, -wurm; ein Drache ohne Flügel, meist als Schlangenleib mit den Hinterpranken eines Löwen dargestellt);

der Greif (mhd. grife, grif; mlat. griphus; ein geflügelter Löwe mit Adlerkopf und als Adlerklauen ausgebildeten Vorderfüßen; von gewaltiger Stärke, Hüter unermesslicher Schätze, dem Menschen feindlich gesinnt; als Beherrscher des Himmels und der Erde Symbol Christi);

der Basilisk (v. grch. basiliskos = kleiner König [der Schlangen], mhd. unck). Ein zweibeiniges, aufrecht schreitendes, langschwänziges Mischwesen mit dem geschuppten Körper eines Drachen, Löwenpranken und dem Kopf eines Hahnes; mit giftigem Atem und tödlichem Blick (eigentlich tödlich scharfem Sehstrahl), weswegen ihm sein eigenes Spiegelbild verderblich ist. Der Sage nach entspringt er aus dem Ei eines neunjährigen Hahnes, das von einer Kröte auf dem Mist ausgebrütet wurde. Gilt als König der Schlangen und aller Dämonen in Tiergestalt und Feind alles Sterblichen.

Nach Plinius, auf den die mittelalterliche Vorstellung zurückgeht, wird der B. durch den Geruch eines Wiesels getötet, das man in seine Höhle geworfen hat. – Nach Hildegard v. Bingen tötet der B. “mit seinem Hauch alles Leben … so dass das Geschöpf, das er anbläst, sofort wie vom Blitz … getroffen hinstürzt.” – Die christliche Symbolik versinnbildlicht der B. die Todsünden Wollust, Neid und Habsucht. – In der verhüllenden Sprache der Alchimisten steht “Basilisk” für den Stein der Weisen. – Als heraldische Figur erscheint der B. mit Abwandlungen in manchen Stadt- und Familienwappen);

das ®Einhorn (auch unicornis oder monoceros; pferde- oder rehähnliches Wesen, auf dessen Stirn ein gerades, spiralig gedrehtes Horn entspringt; oft mit gespaltenen Hufen dargestellt. Kann nur von einer reinen Jungfrau (virgo castissima) eingefangen und gezähmt werden, von daher Symboltier der Jungfräulichkeit. Aus dem Horn glaubte man ein Universal-Heilmittel herstellen zu können, der Einhornhuf sollte Gift unachädlich machen. Hildegard v. Bingen empfiehlt eine Salbe aus Schmalz und pulverisierter Einhornleber als Mittel gegen Aussatz. – Den Alchemisten galt das Einhorn als Symboltier für Quecksilber; in der Heraldik erscheint das Einhorn als Wappentier und als Schildhalter);

der Seelöwe (Mischwesen aus löwengleichem Vorderleib und Fischschwanz);

der Wolfsadler (ein Adler mit Wolfskopf);

der Kentaur (Pferdeleib, dem statt des Halses ein menschl. Oberkörper aufsitzt, Symbol der Dämonen, des Teufels, der Ketzer);

die Manticora, ein menschenfressendes Monstrum mit Löwenkörper und Menschenkopf, mit dreifachen Zahnreihen und skorpionartigem Schwanz;

der Parandus (ein in Äthiopien beheimatetes ochsengroßes Tier mit Hirschgeweih und Affenpelz; konnte zur Tarnung die Farbe der Umgebung annehmen);

der Lukrot (das schnellste der wilden Tiere; seine Stimme war von der menschlichen nicht zu unterscheiden);

Mischwesen moralisch positiver Art waren der Tetramorph, zusammengesetzt aus den Symbolen der vier Evangelisten, der bisweilen als Reittier der Ecclesia dargestellt wurde und als Christussymbol galt, sowie der Vogel Tragopa mit Phönixkopf und Widderhörnern, der als Hinweis auf die Herrschaft Christi verstanden wurde.

Um die Schrecken der Hölle zu vermehren, wurde sie von den Satanologen mit abstoßenden, ekel- und grauenerregenden Monstren bevölkert: “Nateren, drachen, slangen und kreten. Di leben in dem viure und in der flammen alse der visch lebet an dem wazzere, und pinigent di selen vil jemerlichere dan diz vuir eder die keildine”.

Als menschliche Ungeheuer betrachtete man – mit kirchlicher Billigung – stark von der Norm abweichende, womöglich abstoßend hässliche Personen, an denen man keine Gottesebenbildlichkeit erkennen mochte. Man unterstellte, solche seien durch Vereinigung der Mutter mit einem Tier oder einem Dämon zustande gekommen oder durch Verkehr an unpassenden Tagen oder während der Monatsblutung. Viele missgestaltete Kinder dürften nach der Geburt getötet worden sein, um die Mutter nicht schlimmem Verdacht auszusetzen. Andere wurden großgezogen, um als Jahrmarktsensation vorgeführt zu werden. Weniger sensationell verbildete Krüppel fristeten als Bettler ihr Leben.

(s.a. Behemoth, Wassergeister, Wundervölker, Zwischenwesen)

Bestseller Nr. 1
Bestseller Nr. 2
Bestseller Nr. 3
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Volkert, Wilhelm (Autor)
4,38 EUR
Bestseller Nr. 5
Nach oben scrollen