Verstümmelungsstrafen

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Lexikon des Mittealters Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen
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Verstümmelungsstrafen (v. mhd. verstumeln = Glieder abtrennen). Verstümmelungsstrafen wurden in der Absicht verhängt, den Bestraften entsprechend dem biblischen Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß“ abzustrafen und ihn lebenslang als Verbrecher zu kennzeichnen; die Strafart konnte im Sinne einer spiegelnden Strafe auf das Strafdelikt verweisen. Verstümmelungsstrafen wurden ursprünglich nur bei Unfreien verfügt, bei Freien konnte sie als Gnadenerweis anstatt der verwirkten Todesstrafe verhängt werden. Im fränkischen Recht konnten sie durch Geldbuße abgewendet werden, wurden demnach nur bei Zahlungsunfähigkeit vollstreckt – im Effekt also nur beim niederen Volk. („Hat er den Heller nit, man slegt im ab die hant“.) Schon im Frühmittelalter war das Brandmarken üblich, durch welches vor allem Rückfalltäter gezeichnet wurden. Fälscher und Diebe bekamen mittels glühender Münzen, Schlüssel oder Stempel Schandmarken in Wangen, Stirn oder Ohren eingebrannt („Brandmarken“). Im 12. Jh. kam das Handabschlagen auf, im 13. Jh. kamen Blenden, Ohrabschneiden und andere Verstümmelungsarten hinzu, die nunmehr auch unter dem Aspekt der Abschreckung angewandt wurden. Blenden (Ausstechen eines oder beider Augen) stand ursprünglich auf Friedensbruch, wurde im weiteren bei den unterschiedlichsten Delikten vollzogen. Handabschlagen stand auf Friedbruch, Meineid, Falschspiel, Falschwiegen, Urkundenfälschung, schwere Körperverletzung und Beschädigung der Stadtbefestigung. Auf Fingerabschneiden als milder Form des Handabschlagens wurde erkannt bei Delikten wie Jagdfrevelei, Beutelschneiderei und geringfügigem Diebstahl. Wurde üblicherweise der Daumen abgehauen, so verlor der Meineidige seine Schwurfinger, konnte also nie mehr schwören. Das Einschlitzen („Schlitzohr“) bzw. Abschneiden eines oder beider Ohren wurde ursprünglich nur an Knechten vollzogen, denen bei dieser Strafe die volle Arbeitsfähigkeit erhalten blieb. Die Strafe stand auf Gotteslästerung, Tragen verbotener Waffen und Diebstahl. Für letzteres Delikt wurde sie fast nur an Frauen vollzogen, männliche Diebe wurden meist gehenkt. Verbrechen, die mit der Zunge begangen worden waren, wurden mit dem Einschlitzen, Ausreißen oder Abschneiden der Zunge bestraft. Entsprechende Delikte waren: Gotteslästerung, Meineid, Verleumdung, falsche Anklage, Verrat, Schmähung der Obrigkeit und nicht autorisierte Ausübung der Gerichtsbarkeit. Mit Kastration hatten Münzfälscher und Sittlichkeitstäter (Ehebrecher, Notzüchter – wenn die Frau zu Tode gekommen war, Juden, die mit einer Christin Verkehr hatten) zu rechnen; oft wurde sie als Verschärfung der Todesstrafe verhängt und fallweise erst an der Leiche des Hingerichteten vollzogen.

Verstümmelte trugen gleichsam ihr Strafregister am Leib. Ihre Strafen scheinen auch in ihren Zunamen auf: etwa „Kunz mit der einen Hand“, „die orlos Anna“, „die naslos Walburg von Nürnberg“ usf.

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