Volksmedizin

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Volksmedizin (Erfahrungsheilkunde, Laienmedizin; unter “Volk” sei jene Mehrheit der Bevölkerung verstanden, die keine höhere schulische Bildung hatte). Der Begriff “Volksmedizin” steht für die Gesamtheit der im Volk von alters her überlieferten Krankheitsvorstellungen und Heilmethoden – im Gegensatz zur Kloster- und Schulmedizin, der Heilkunde der gebildeten Ärzte, der buoch-arzete. Im Mittelalter war der Komplex der Volksmedizin zu einem ganzen Kosmos angewachsen, der in wechselseitiger Durchdringung mit der Heilkunde der Mönchsärzte und danach mit derjenigen der studierten medici stand. Grundlage der Laienmedizin waren – oft zufällig erworbenes – Erfahrungswissen sowie magische, assoziative, analoge oder emotive Methoden. Heilungserfolge der Laientherapie beruhten auf handwerklichem Geschick (etwa bei Wundversorgung oder Geburtshilfe), Kenntnissen über pharmazeutische und physikalische Heilmittel (z.B. Arzneipflanzen, Anwendung von Kälte, Hitze, Rauch- oder Badekuren) und psychotherapeutischen Maßnahmen (Besprechen, Berufen, Bespucken, Behauchen, Bestreichen usf.). Noch der krauseste magische Unfug mochte – zumindest bei dafür empfänglichen Personen und fallweise nur über begrenzte Zeit – aufgrund seiner Fremd- und/oder Autosuggestivkraft zu Heilungen und Heilungswundern im Sinne einer psychosomatischen Reaktion geführt haben.

Als Ursache von Krankheiten kannte man natürliche und übernatürliche Auslöser. Auf Erstere schloss man aufgrund eigener Beobachtungen und Erfahrungen oder aufgrund mündlicher Überlieferungen, wobei auch Entlehnungen aus der Schulmedizin tradiert wurden. Letztere erklärte man als das Werk von Dämonen oder als Zauberkunst von Menschen, die sich Dämonen dienstbar zu machen verstanden, auch als göttliche Strafe oder Prüfung. Dementsprechend galten Vorbeugungs- und Heilmethoden im einen Fall der Vermeidung, Abstellung oder Neutralisierung natürlicher Noxen, im anderen der Abwehr, Irreführung oder Unschädlichmachung eines Krankheitsdämons mittels Magie, bzw. der Versöhnung mit dem zürnenden Gott durch Gebet und Buße.

Große Bedeutung wurde bei Heilriten dem gesprochenen Wort und der menschlichen Stimme beigemessen. Dies galt sowohl bei Besprechungen und Zaubersprüchen wie beim Gebet. Des weiteren vertraute man auf Amulette, geweihte Gegenstände, Räucherungen, Berührungen, Streicheln oder auf die Fürbitte von Schutzheiligen, die man nach dem Analogieprinzip auswählte: Sie sollten gegen jene Übel helfen, die sie als Märtyrer erlitten hatten bzw. durch welche sie zugrundegangen waren. Dass man sich der Gunst der Heiligen durch kleine Gaben (Votivgaben), Bitt- oder Dankopfer versichern wollte, entsprach menschlicher Alltagserfahrung. Auch wo physikalische oder pharmakologische Heilmethoden zur Anwendung kamen, waren diese eng mit magischen, sympathetischen, astrologischen oder anderen abergläubischen Vorstellungen verwoben.

Ausübender der Volksmedizin konnte prinzipiell jedermann sein. Besonderes Zutrauen hatte man zu kräuterkundigen Frauen, zu Schäfern und Schmieden, und zu als Zauberer bekannten Männern, denen häufig der unheimliche Nimbus ihres Gewerbes – etwa eines Scharfrichters oder Abdeckers – anhing.

Vom feinen Gespür des Volks für seelisch-körperliche Zusammenhänge zeugen Ausdrücke wie: Das liegt mir schwer im Magen; Das schnürt mir die Luft ab; Das greift mir ans Herz; Da kommt mir die Galle hoch; Das hat mir die Sprache verschlagen usf.

(s. Abrakadabra, Ähnlichkeitslehre, Amulett, Analogiezauber, Beschwörungsformel, Besprechen, Dreckapotheke, Heilkunst, Heilpflanzen, Liebestränke, Mantik, Medizin und Theologie, medizinischer Kannibalismus, Notfeuer, Sakramentenzauber, Schutzpatron, Vermessen, Vernageln, Wurm, Zauberei, Zaubersprüche, Ziest)

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