Belagerung einer Burg im Mittelalter

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Durch die Zunahme von Burgen und befestigten Städten und deren Bedeutung in strategischer Hinsicht war die Eroberung oder Verteidigung von Festungen eine verbreitete militärische Handlung im späten Mittelalter. Auch wenn eine kleine Truppe zur Verteidigung einer Burg genügte, so bedurfte es einer großen Armee sie einzunehmen. Der Angreifer brauchte ein zahlenmäßig großes Heer, um das Umland der Burg zu überwachen, die Befreiungsarmee des Gegners abzuwehren, die Festung anzugreifen oder zumindest den Belagerungsdruck aufrechtzuerhalten. Dies alles war ein kostspieliges Unternehmen.

War eine Armee im Anmarsch auf eine Burg, zogen sich die Burgleute meist ins Innere zurück und nahmen alle wertvollen Dinge, insbesondere Nahrungsmittel und Waffen, mit sich. Wurde eine lange Belagerung erwartet, so konnte es vorkommen, dass den Bauern, die nicht kämpfen konnten, der Zugang zur Burg verweigert wurde, um Nahrungsmittel zu rationieren. Es gibt viele Belege für derartige Fälle, in denen Menschen aus einer belagerten Stadt vertrieben wurden, um die Vorräte zu schonen.

Rückte eine Armee an, so konnten Übergabe und Bedingungen sofort ausgehandelt werden, insbesondere wenn eine Burg oder eine Stadt unterbemannt war. Die Angreifer wägten sorgfältig die Chancen für einen Angriff ab, wenn die Verhandlungen scheiterten. Wurde ein schneller Angriff abgewehrt oder als zu gefährlich betrachtet, umzingelten die Angreifer die Burg und begannen mit ihrer Belagerung. Mit Beschuss der Stadt durch die Belagerungsartillerie war die Belagerung offiziell eröffnet. Ein Rückzug ohne guten Grund galt fast immer als unehrenhaft und unannehmbar. Eine große Belagerung war mit einem gesellschaftlichen Ereignis zu vergleichen. Die Belagerung der Stadt Neuss im 15. Jahrhundert dauerte nur wenige Monate, doch die Angreifer errichteten ein riesiges Lager, einschließlich Schänken und Sportplätzen. Adlige, die an Belagerungen teilnahmen, richteten sich häuslich ein und brachten häufig auch ihre Frauen und ihren Haushalt mit. Händler und Handwerker aus den Nachbarstädten machten sich eilig daran, Läden zu errichten und ihre Dienste anzubieten.

Die Realität der Kriegsführung in jener Zeit sah so aus, dass Burgen und Städte nur selten durch Überfälle erobert wurden. Derartige Angriffe waren meist ein Akt der Verzweiflung oder wurden nur durch List und Tücke möglich. War die Garnison zahlenmäßig nicht absolut überlegen, so kostete ein Überfall einfach zu viele Menschenleben. Weitaus geläufiger war es, eine Belagerung gemäß den gängigen Regeln der Kriegsführung und des Ehrenkodex durchzuführen und die Burg mit relativ geringen Verlusten einzunehmen. Für die Verteidiger wäre es Verrat gewesen, sich ganz ohne Kampf zu ergeben. Deshalb mussten die Angreifer die Belagerung aufrechterhalten und die Burgmauern attackieren. War der Burgherr nicht anwesend, so konnte sein Stellvertreter, der sog. Kastellan, die Burg ohne Ehrverlust nach mehreren Tagen/Wochen übergeben, wenn keine Befreiungsarmee erschienen war.

Kastellane verlangten häufig einen Vertrag, in dem die Pflichten und Umstände der Übergabe genau festgehalten wurden, um einer Bestrafung durch den abwesenden Burgherrn zu entgehen. In den wenigen Fällen, in denen eine Übergabe nicht in Betracht kam oder verächtlich zurückgewiesen wurde, war es üblich, wenig Erbarmen mit den Besiegten zu zeigen, wenn der Angriff erfolgreich vorüber war. Einfache Soldaten und sogar Bürger, die sich in der Burg aufhielten, wurden niedergemetzelt, Burg oder Stadt geplündert. Gefangen genommene Ritter wurden meist am Leben gelassen, denn für sie konnte ein Lösegeld gefordert werden. Alle Angreifer erhielten einen Anteil von der Beute.

Für die Praxis bedeutete dies ein weiteres Argument für die Verteidiger, nach einer angemessenen Belagerungszeit in die Übergabeverhandlungen einzutreten. Heinrich V. von England nahm 1417 die Stadt Caen nach einer langen Belagerung ein. Danach erlaubte er seiner Armee, die Stadt als Strafe für ihren zähen Widerstand vollständig zu plündern. Alle Männer der Stadt mit Ausnahme der Geistlichen wurden getötet. Bei seinem nächsten Halt, der Burg von Bonneville, waren die Verteidiger nach sieben Tagen, in denen sich keine Befreiungsarmee gezeigt hatte, zur Übergabe bereit, auch wenn beiden Seiten klar war, dass es keine Aussicht auf Befreiung gab.

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