Volkseinheit und Grenzhut

Ebook Lexikon des Mittealters mit 3.900 Seiten und 6.400 Stichworten für Amazon Kindle und als eBook PDF.

Übermenschliches war dem neuen König aufgeladen. Aber Heinrichs Mut wollte sich nicht von dem Glauben des sterbenden Konrad I. an eine Wendung zum Besseren übertreffen lassen. Darin liegt .das Große, dass Konrad an die Zukunft glaubte und Heinrich sich für das Schwere einsetzte. Die Ordnung des Verhältnisses zu den Stämmen war ja nur eine Seite dessen, was zu tun war, und nicht die schlimmste. Das Raubwesen in allen Schichten des Volks bis hinauf zu den Vornehmsten war -gefährlicher, und Slawen und Ungarn machten mit ihren Übergriffen und verheerenden Streifzügen das Elend voll.

Die Slawen, Wenden, hatten sich in dem durch die Völkerwanderung entdeutschten Raum östlich und nördlich der Elbe leicht eingelebt. In der Karolingerzeit waren sie die ständige Grenzsorge gewesen. Im Sommer 808 hatte Karl mit der Befestigung der Elbestellung begonnen. An Kolonisation und Christianisierung dachte er nicht. Sie waren ohne völlige politische und geistige Einverleibung des sächsischen Zwischengliedes ins Reich undenkbar. Den Beweis erlaubt Karls Verhalten gegenüber den Ende des 8. Jahrhunderts unterworfenen Awaren im Donauknie (Pannonien, Westungarn), wo er missionieren ließ, weil es vom christlichen Bayern aus möglich war.

Die Reichsteilung 843 war für den Osten eine neue Verlockung zu Übergriffen. Ludwig der Deutsche musste 846, 855, 864 an die Elbe; vor allem die Mährer machten ihm zu schaffen. Doch galt der slawische Osten als Reichsgebiet. Die Teilung von 876 wies ihn Karl Ill. zu; 898 waren Mähren und Böhmen in der Hand Zwentibolds. 891 erkrankte König Arnulf im Feld, „als er die Frechheit der Slawen abwehren wollte“; die Deutschen wurden geschlagen; den König bedrückte es schwer, „dass die bis dahin unbesiegten Franken den Feinden den Rücken zeigten“. Bischof Arn von Würzburg fiel im Juli 892 in einer Wendenschlacht. Mit Zwentibolds Tode 894 hörte die Widerstandskraft des Ostreichs auf. Und die Ungarn kamen über die Grenzlande. So brauchte sich Heinrich I. über seine Aufgabe hier nicht erst klar zu werden. Handelte es sich den Slawen gegenüber im Wesentlichen um Grenzkämpfe, so wurden die Ungarn mit ihren Streifzügen durchs ganze Reich zur Volksheimsuchung. Die den Awaren volksverwandten Ungarn waren ihnen nachgezogen, am Don hängen gebliebenund bei der Schwäche der Reichsregierung 895/96 in die Awargisitze eingerückt. Beutefahrten führten sie von da ab iedes Jahr weiter nach Westen, Süden und Norden. Der Fortsetier des Regino notiert Jahre hindurch in seinen knappen Annalen nur die Ungarnplage: so schwer lastete die Sorge auf allen Gemütern. Zum Jahre 917 meldet der Chronist den Feind in Alamannien, im Elsass, bis nach Lothringen hin. Als die Ungarn 924 in das östliche Franken kamen, war inzwischen Heinrich König geworden. Aus Korvey hören wir von der nämlichen Katastrophe „ganz Sachsens“, aus St. Gallen von dem Unheil Schwabens. „Die Feinde kamen nicht in Heeren, sondern rudelweise, da ihnen ja niemand wehrte, drangen in die Städte und Dörfer ein, plünderten und sengten und sprangen so überall, wohin sie kamen, Überraschte an. Zu hundert oder weniger brachen sie aus den Wäldern, in denen sie sich versteckt hatten. Rauch und himmelrötendes Feuer taten kund, wo sie gerade hausten“, berichtet Ekkehard von St. Gallen. Befestigte Orte gab es nur spärlich. Versteckte Täler, Höhlen und Berge boten den nächsten Schutz, wenn man rechtzeitig gewarnt war. Heinrichs erste Begegnung mit dem Feind bei Bichni (Püchen an der Mulde) endete mit der Flucht des Königs; darauf sei er erkrankt. Er weilte in Werlaon, als ihm gemeldet wurde, dass es gelungen sei, einen ungarischen Häuptling abzufangen. Das gab die Unterlage für Verhandlungen; Heinrich verlangte Frieden, erreichte einen neunjährigen Waffenstillstand – aber nur für Sachsen – gegen Freigabe des Gefangenen und jährlichen Tribut. Immerhin war Zeit gewonnen, und nun ging’s an die Vorbereitung für einen künftigen Wiederempfang. Durch ganz Sachsen und Thüringen wurden alte Befestigungen wiederhergestellt und neue geschaffen, Klöster mit Schutzmauern und Gräben versehen. Jeder neunte Mann der königlichen Güter musste in die Stadt ziehen, wohl abwechselnd iiber die neun Jahre des Waffenstillstands, und für die andern acht Wohnung und Nahrung bereitstellen, während die acht auch für den Abwesenden säten und ernteten. Alle Versammlungen und Feste mussten in der Stadt abgehalten werden. „Urbes“ nennt Widukind diese Festungen; das sind noch nicht die mittelalterlichen Städte im Rechtssinn, wenn sie auch in der ‘Ummauerung und als Versammlungsorte mit der Anhäufung von Vorräten, mit Zufuhr und Handel schon ein gutes Stück mit ihnen gemein haben. Die spätere mittelalterliche Stadt ist eine Rechtsinstitution, die Heinrichs I. ist Festung. Alle Männer wurden für den Ernstfall eingelernt. Nach altem Brauch der Sachsen durfte sich kein Freier nach zurückgelegtem dreizehnten Lebensjahr dem Heere entziehen; „das löbliche und nachahmenswerte Herkommen“ sollte sich nun bewähren. Die Ungarn waren zu Pferd gekommen. Im Reiterdienst standen die Sachsen hinter den Franken zurück. Heinrich half auch hierin ab durch Schulung größerer Verbände für den Reiterkampf.

In wenigen Jahren bot das Heer ein anderes Aussehen. Das sollten 928 zuerst die Slawen erfahren. Wir wissen nicht, was den Anlass zum Kampfe gab.

Heinrich wandte sich gegen die Wiltzen an der oberen Havel (im großen Liutizenverband, zwischen den Aboriten und Pommern, Ostsee und Havel) und ihren Hauptring Brennaburg (Branden- burg); der Platz wurde genommen, die Heveller geschlagen. Die Wiltzenunruhen und der Feldzug wirkten inzwischen die Elbe hinauf. Im Winter 928/29 rückte Heinrich ins Daleminzierland (westlich der Elbe im Norden des Erzgebirges) gegen Gana (bei Meißen). Die Burg fiel nach zwanzigtägiger Belagerung; die Männer wurden erschlagen, Frauen und Kinder in die Sklaverei abgeführt, Gana zerstört. Bei der Gelegenheit ist dem sechzehn- jährigen Prinzen Otto die slawische Fürstentochter als Beute zugefallen, die im folgenden Jahre die Mutter seines Sohnes Wilhelm, des späteren Erzbischofs von Mainz, wurde. lm Frühjahr 929 ging’s gegen die Böhmen; Franken und Bayern zogen diesmal mit. Der Verlauf des Unternehmens liegt im Dunkeln, das Ergebnis ist deutlich: Herzog Wenzel unterwarf sich und verpflichtete sich zur Tributleistung. Darauf gaben die Nordslawen (nördlich der Havel), die auch wieder in Aufregung geraten waren, Ruhe. Der slawische Osten war unter deutscher Hoheit, freilich, wie sich dann herausstellte, seine Widerstandskraft nicht gebrochen. Noch gegen den Herbst 929 erhob sich das Slawentum von neuem. Die Redarier überfielen Wallislevu (Wals1eben zwischen Werben und Arneburg). Die Grafen Bernhand von der Havelnrark und Thietmar vom Nordthüringengau brachten ihnen bei Lunkini (Lenzen, östlich der Elbe) eine schwere Niederlage bei. Strafgerichte, Aushebungen und Versklavung – der deutsche Begriff „Sklave“ stammt von „Slawen“  beendigten den Aufstand die ganze Elbe entlang.

An eine Einverleibung der Gebiete dachte Heinrich I. so wenig wie einst Karl der Große. Auch Marken, Grenzschutzgebiete, sind nicht geschaffen worden. Und ebenso wenig wurde eine kirchliche Mission ins Auge gefasst. Was geschah, ging vom Einzeleifer aus. Die Ungarn waren 925 ausgeblieben. Man mochte hoffen, dass sie zunächst nicht wiederkämen. Da erfüllten sie 926 den Süden und Wegen mit neuem Schrecken. Im Frühjahr erschienen sie (unbekannt auf welchem Wege) über dem Rhein in Lothringen und verheerten das Land bis in die Campagne hinein. Gleichzeitig überschwemmten andere Horden Bayern und Alamannien. Der Bayernherzog erkaufte sich Frieden, Alamannien lag wehrlos offen. Herzog Burchard war seinem Schwiegersohn Rudolf nach Italien zu Hilfe gezogen; er ist Ende April bei Novara gefallen. Augsburg wurde belagert, dann lockte St. Gallen die Beutegierigen. Verlässige Berichte .aus frischer Erinnerung schildern die Vorgänge, so dass wir ein anschauliches Bild der feindlichen Taktik wie der klösterlichen Maßregeln, des Übermuts wie des Entsetzens gewinnen. Das Kloster war unbefestigt; Mönche und Habe wurden nach einer Waldburg über der Sitter und nach der Reichenau geflüchtet. Am l. Mai fielen die Heiden über das Kloster her. Die Burg zu erstürmen versuchten sie nicht. Die Klausnerin Wiborada, die zurückgeblieben war, wurde erschlagen. Das Unheil stellte sich indessen nach dem Abzug nicht so groß heraus, wie man befürchtet hatte. Der von Bränden gerötete Himmel wies den geflüchteten München den Weg der Weiterziehenden, Konstanz und der Reichenau zu. Konstanz retteten seine Mauern, die Reichenau der See. Als die Ungarn bei Säckingen über den Rhein wollten, wurden sie von dem Grafen Hirminger geschlagen. Die Hauptmasse war nördlich vom Bodensee über den Schwarzwald ins    Elsass und nach Lothringen eingedrungen und über Burgund und das Westreich bis ans Meer gelangt.

Als sie Wiederkamen, waren Heinrich und das Reich bereit. Der König konnte, als der Waffenstillstand ablief, mit Recht und mit Stolz vor dem versammelten Volke davon sprechen, dass das einst von allen Seiten gefährdete, im Innern zerrissene Reich mit Gottes gnädiger Hilfe durch seine, des Königs, Mühe und durch die tapfere Mitarbeit des Volkes befriedet und geeinigt und die Barbaren besiegt und unterworfen seien. „Jetzt bleiben noch die Awaren. Ich habe euch, eure Söhne und Töchter arm gemacht und den Feind bereichert. Jetzt müsste ich die Gotteshäuser und ihre Diener ausplündern. Soll ich zu eurer Rettung alles vollends den Feinden Gottes hinwerfen oder nicht lieber mit dem letzten der Ehre Gottes dienen, damit wir von Ihm errettet werden, der unser Schöpfer und Erlöser ist?“ Mit erhobenen Händen gelobten sie alle dem König Beistand. Als die feindlichen Abgesandten den Jahrestribut holen wollten, wurden sie abgewiesen. Darauf kamen sie in unübersehbaren Scharen durch das Dalenünzienland gezogen: die Slawen sollten sich ihnen .anschließen. Da [diese aber wussten, dass die Sachsen bereit waren, schickten sie den Ungarn einen fetten Hund zu. Die Ungarn brachen jäh in Thüringen ein und teilten sich zum Angriff auf Sachsen vom Westen, Süden und Osten. Thüringer und Sachsen fingen -die nach Westen Ziehenden ab, schlugen und zerstreuten sie. Hunger, Kälte und die Bauern, denen die Flüchtigen in die Hände fielen, taten das übrige. Die östliche „Abteilung legte sich zunächst vor eine (ungenannte) Stadt, in der wie der Feind erfuhr – eine Schwester des Königs als Gattin des Thüringers Wido wohnte, wo also reiche Beute zu vermuten war. Da kam die Kunde von der Niederlage der Ihren und von der Nähe des Königs, der in einem festen Lager in Riade (an der Unstrut) stand. Die Ungarn gaben die Belagerung der Stadt auf und zogen ihre Leute zusammen. Heinrich feuerte die Seinen durch das Beispiel seiner eigenen Zuversicht in die erprobte göttliche Hilfe an; es gelte dem gemeinsamen Feinde aller; auch Bayern und Alemannen werden aufgeboten worden sein; und es gelte Vaterland und Eltern zu rächen. Da sie den Feldherrn (Imperator) persönlich überall zuvorderst sahen und vor ihm den „Engel“ (das Feldzeichen mit dem Bild des hl. Michael), gewannen sie Vertrauen. Und als der Feind den Mut gewahrte, wandte er sich zur Flucht. Die Ungarn waren gewohnt, nur Wehrlose oder Schlechtbewaffnete vor sich zu haben. Obgleich der König den    Feind durch eine leicht bewegliche Schar Thüringer an das Hauptheer hatte heranlocken lassen, glückte die Flucht doch so, dass acht Meilen weit nur wenige dem Tode oder der Gefangenschaft anheimfielen; aber das Lager wurde genommen und alle Gefangenen befreit. Es war am 15. März 933. „Der König aber gab wie billig in allem Gott die Ehre für den Sieg und ordnete an, dass der bisherige Tribut für den Feind dem Gottesdienst und den Armen zukommen sollte.“ „Und fortan wurde er vom Heer Vater des Vaterlandes, Herr über den Dingen und Imperator geheißen, und der Ruhm seiner Macht und Fähigkeit drang weit und breit unter die Völker und Herrscher, so dass auch Vornehme aus andern Reichen ihn aufsuchten und um seine Gunst warben und den in Treue erprobten so großen und prächtigen Mann lieben lernten“ (Widukind).

Noch blieb Heinrich eine letzte dringende Aufgabe, die von den Karolingern her noch immer unbereinigt war und die er nun auch ganz im karolingischen Geiste zu Ende führte. Die Dänen, Normannen, hatten noch immer nicht verspürt, dass die Zeiten andere geworden waren, und verwüstete das untere Elbegebiet; 934 brachen sie zu Schiff in Friesland ein. „Heinrich griff sie an, besiegte sie; machte sie tributpflichtig und brachte ihren König Chnuba dazu, sich taufen zu lassen.“ Adam von Bremen, der um 1070 auf Grund des Berichtes eines unter den Dänen missionierenden Bischofs von den nämlichen Vorgängen spricht, weiß Bestimmtes: Heinrich unterwarf den König Wrm (Gorm) und besetzte das Gebiet bis Schleswig, „das jetzt Heidiba heißt“; er legte hier die Grenze fest und besiedelte die Mark mit Sachsen unter einem Markgrafen. Die deutsche Mark zwischen Eider und Schlei wurde also wieder hergestellt, wie Karl id. Gr. sie eingerichtet hatte, und Heinrich nahm durch Förderung der Tätigkeit des Erzbischofs Unni von Hainburg-Bremen das Missionswerk des 9. Jahrhunderts, Anskars und Rimberts, wieder auf. Die nie besiegten Dänen endlich geschlagen! „Das vor allem hat Heinrichs Namen in Italien Ruhm verschafft“ (Liudprand).

„Als nun alle Völker rings bezähmt waren, fasste Heinrich den Entschluss, nach Rom zu ziehen; aber er erkrankte. Die Fahrt unterblieb.“ Wie Widukind den Satz hinstellt, müsste nicht an die Kaiserkrönungsiahr gedacht Werden. Die sachgemäße Deutung gibt indes der Zusammenhang mit den Karolingern und gibt später Otto l., als er mit der innern und äußern Befriedung des Reiches wieder so weit war wie der Vater. Es fehlte ja auch nicht am Anlass. Gerade in den letzten Jahren Heinrichs drängte die lombardische Frage auf endliche Lösung hin; die Lombardei war seit 774 Reichsboden. Die Karolinger waren Langobardenkönige gewesen. Die bayerische und schwäbische Geschichte blieb mit der Lombardei verflochten. Zum Jahre 934 erfahren wir von dem Versuch Arnulfs von Bayern, seinen Sohn Eberhard zum Langobardenkönig zu machen. Das konnte den König nicht unberührt lassen. In Rom waren die Verhältnisse ebenso wenig geklärt. Es geschieht Widukind wahrhaftig keine Gewalt, wenn wir ihn zum Zeugen für Heinrichs Kaiserpolitik machen. Man wollte ihm im Gegensatz zu den Karolingern eine ausschließlich deutsche, nationale Politik zutrauen. Dafür aber fehlt jede quellenmäßige Unterlage, während die Zusammenhänge mit Westfranken, Burgund und der Lombardei von Anfang bis zu Ende den Ausblick auf „das Reich“ offen halten.

Ob Heinrich ohne diesen Hintergrund bei aller persönlichen Zulänglichkeit auch in Deutschland so leicht zur Ordnung gekommen wäre? Die Stämme fügten sich in einer Weise, die das Recht auf Heinrichs Seite erkennen lässt. Zum Können gehören Ideen, wenn ein Volk über geschichtliche Stammes- und Sonderart seiner Bestandteile weg zur Einigkeit, nicht bloß zu einer erzwungenen Einordnung, gebracht werden soll. Einigkeit bedeutet Opfer der Persönlichkeit und des Sondergeistes, die durch Ideen überboten werden müssen. Die Idee aber wird in der Führung leben. Ihre Sache ist es, der Idee Kraft und Sicherheit zuzutragen. Das ist Heinrichs I. Platz in der deutschen Geschichte. Im Führer lebte die Vergangenheit mit ihren Pflichten und Rechten weiter. Damit ist auch die oft gestellte Frage nach dem verfassungsmäßigen Charakter des mittelalterlichen deutschen Reiches beantwortet, ob Staat mit idem Gemeinschaftszweck der Erhaltung der Rechtsordnung, der Förderung der Wohlfahrt und Kultur, des Schutzes der Verbandsgenossen, oder Sonderherrschaften mit bloßer Nützlichkeitsanpassung: der König hat Rechte und Pflichten gegenüber dem Ganzen, und die Teile haben Pflichten gegenüber dem Herrscher und anerkennen seine Rechte.

Ist die Einigung des Deutschtums je bewusstes Ziel gewesen oder ist sie das zufällige Ergebnis des geschichtlichen Verlaufs? Die Merowinger haben die Aliamannen um der Grenzsicherheit willen bekriegt und unterworfen; ebenso die Thüringer, als «die Franken in die innern Händel der dortigen Teilreiche hineingezogen wurden. Die Bayern waren für das Reich um der Theudebertschen Ostpolitik willen (534 – 548) von Bedeutung; sie scheinen ohne Schwierigkeit angegliedert worden zu sein. Die Sachsen spielen in die    thüringischen und ribuarischen Grenzkämpfe herein, erscheinen als Bundesgenossen des jüngeren Theudebert gegen Theuderich 611 bis 612; unter Dagobert sind sie um 632 tributpflichtig; unter Karl Martell nach mehrfachen Aufständen 738 wieder. Die Unterwerfung traf bei der Zersplitterung und Ausdehnung des Sachsenvolkes indessen nur jeweils Teile. Karl d. Gr. fand trotz der Siege Karlmanns von 744 und der Taufe der Grenzanwohner und trotz Pippins Rachezügen für Treubruch 747, 753, 758 die Verhältnisse unsicherer vor denn je. Grenzstreitigkeiten veranlassten ihn 772 zum Krieg, der nun grundsätzlich bis zum Untergang der sächsischen Selbständigkeit und zur Verchristlichung des Volkes geführt wurde, weil nur die Gemeinsamkeit des Glaubens Ruhe verbürgte. Sieg und Christentum oder Ausrottung war die Losung des Jahres 775. Nirgends tritt irgendwie das Bewusstsein gemeinsamen Volkstums in Erscheinung. Auch noch die Teilungsverträge von Verdun 843 und Merken 870 verfahren nicht nach Volks- und Sprachgrenzen, sondern nach dem schätzungsweisen Länderwert. Aus dem gemeinsamen religiösen Glauben ist seit dem Ausgang der Sachsenkriege Karls das Bewusstsein der Volksgemeinschaft der Sachsen, wie sie Einhard empfunden hat. Karls gemeinsames Recht für alle Reichsteile; die gleichartige Verfassung und Organisation, die Pflege der Volkssprache und Volksdichtung halfen zur Vertiefung des Zusammengehörigkeitsgefühls. Es ist doch von Bedeutung, dass die ältesten deutschsprachigen literarischen Schöpfungen, die wir kennen, der Heliand und das Hildebrandslied, auf sächsischem Boden entstanden sind. Ob Widukind von Korvey den Gedanken unmittelbar aus Einhard genommen hat oder nicht, jedenfalls teilt er die Überzeugung, dass das Christentum aus Sachsen und Franken ein Volk gemacht habe.

Zur Vorbereitung der Ungarnabwehr, hörten wir, lässt Widukind den König in der Volksversammlung 932 von seinen eigenen Verdiensten und der tapferen Mitarbeit des Volkes „unter Gottes gnädigem Beistand“ Vreden: Glaube und Arbeit ergänzen sich. Nicht weniger aber spricht Heinrichs klares Ziel von Anfang an oder Widukinds Überzeugung davon  aus diesen Worten. Erst der gemeinsame Glaube hat die politische Zusammengezwungenen innerlich geeinigt, soweit die Sonderart das zuließ. Dann ist auch die Politik der Bischöfe im 9. und 10. Jahrhundert berechtigter und bodenständiger, als sie im Einzelfall erscheinen könnte.

Nach oben scrollen