Abfallbeseitigung

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Abfallbeseitigung. Die Beseitigung von Schmutzwasser, Kehricht (kirsal), Stroh, Mist, Asche und Fäkalien (summarisch unlust, unvlat, unreinecheit genannt) war in den Städten des Mittelalter anfänglich Sache der Haushalte, die derlei Unrat kurzerhand auf die Gasse oder in den nächsten Bach beförderten. Erst durch strafbewehrte Verordnungen sahen sie sich gehalten, Abfälle ordentlich zu zwischenzulagern und auf städtische Mülldeponien abzuführen, sowie häusliche Latrinengruben anzulegen. Diese Latrinen- oder Schwindgruben (Kloaken) waren zunächst einfache Erdgruben, später mit Brettern oder Rutenflechtwerk, auch mit Bruchsteinmauern ausgekleidete Gruben. Aus den Schwindgruben versickerte Flüssiges im umgebenden Erdreich, während Feststoffe zurückgehalten wurden. Sie stellen heute vielfach hervorragende archäologische Fundstätten für pflanzliche und tierische Essensreste, allerlei Artefakte sowie für Anzeichen endoparasitären Befalls u.a. dar.

Vom 12. Jh. an richteten die Städte Abzugsrinnen und -gräben (“Ehgräben”, “wuostgräben”) zwischen den Grundstücken ein, die Traufwasser und Abfälle, nicht jedoch Fäkalien aufnehmen sollten und den Anliegern oder von städt. Grabenmeistern und Grabenfegern gereinigt wurden. In manchen Städten, so in Frankfurt, Freiburg/Br., Goslar, Hamburg und Köln, verliefen offene Gossen in den Straßen, welche die Abwässer zum nächsten Fluss leiteten; derartige Abzugsrinnen wurden – nach dem lat. aquaeductus – seit dem 14. Jh. “aducht” oder “agetucht” genannt. Alle Abzugsgräben führten zu Fließgewässern, die bei niedrigem Wasserstand häufig Kloakencharakter annahmen. In Wien wurden derartige Gräben wegen des üblen Gestanks ab 1388 überwölbt. Gedeckte Abwasserkanäle (“heimlich greben”, “tole”) sind für etwa die gleiche Zeit auch in Nürnberg, Zürich und Ulm belegt.

Für Patrizierhäuser kamen aus Haustein, seltener aus Ziegelstein gemauerte Fäkalienkammern (kaste) im Kellergeschoß sowie verdeckte Ableitungen (heimlich greben) zum nächsten Fließgewässer auf. Derartige Fäkalienkammern konnten beträchtliche Ausmaße erreichen: bei einem Durchmesser von 5 – 6 m und einer Tiefe von 6 – 10 m mussten sie nur nach jeweils 20 Jahren geleert werden.

Da die Fäkalienkammern häufig unter dem Grundwasserspiegel lagen, kam es vielfach zu Brunnenverunreinigungen. Für die Leerung der Abfall- und Latrinengruben waren besondere städt. Angestellte zuständig (cloacarii, ehgrabenrumer, mundatores latrinae, heymelichkeit-fegere, nahtkarrer, nahtmeister, küniger, goltgraebere), sofern die Arbeit nicht unehrlichen Leuten (Abdeckern, Totengräbern, Henkern, Hundeschlägern) aufgetragen war. Die Kloakenreinigung erfolgte üblicherweise an Nachmittagen der kalten Jahreszeit, der Abtransport der Fäkalien auf Fasskarren wegen der Geruchsbelästigung während der Nacht. Das “Gold” wurde entweder gleich in ortsnahen Feldern und Gärten ausgebracht, an bestimmten Stellen in Fließgewässer gekippt oder es kam auf ein entlegenes Feld, um dort zu verrotten und später als Dung verwendet zu werden.

Auch Asche, Stroh, Mist, Kehrricht, Bauschutt, Hausmüll und die Kadaver von Hunden, Katzen und anderen Kleintieren wurden zumeist auf die Straße geworfen, da ihre ordnungsgemäße Beseitigung mit Kosten verbunden gewesen wäre. Diesem Missstand suchten die städt. Behörden durch Gebote und Verbote abzuhelfen. Beispielsweise besagte eine Münchener Verordnung von 1370, dass derjenige, der den vor seine Tür geworfenen Unrat nicht gleichentags beseitigte, 36 Pfennige an die Stadtkasse, 7 Pf. an den Stadtrichter und 12 Pf. an den Gerichtsdiener zu zahlen habe. In anderen Städten galt meist eine Frist von drei Tagen für die Entsorgug von Kehricht (kirsal) und Asche. Von erwachendem Problembewusstsein zeugt der Ulmer Ratsbeschluss von 1494, Fäkalien und Schweinemist nicht mehr zum Düngen von Feldern und Wiesen verwenden zu lassen – konnten darin doch der Gesundheit abträgliche Stoffe enthalten sein. Früheste Nachrichten von einer städt. Müllabfuhr stammen aus Köln (1353) und aus Göttingen (15. Jh.). Der “Dreckwagen” oder “Schraiffelkarren” fuhr regelmäßig zu bestimmten Zeiten, meist während der Nacht, und wurde durch eine besondere, von allen Bürgern erhobene Abgabe finanziert. (Die nächtliche Abfuhr hatte die unbequeme Folge, dass zur Unzeit die Stadttore geöffnet werden mussten.) Abgekippt wurde auf eigens dafür ausgewiesenen Plätzen, etwa an bestimmten Stellen des Stadtgrabens. Als Gassenfeger und Unratsammler stellte das städtische Horbamt (horbampt = Straßenmeisterei) sozial unterprivilegierte Leute an, also Arme, Erwerbsunfähige oder Nichtsesshafte.

Im Spätmittelalter wurde auch die Beseitigung gewerblicher Abfälle gesetzlich geregelt und organisiert; die Abfälle von Gerbereien, Färbereien, Seifensiedereien, metallbearbeitenden Werkstätten, Schlachthäusern usf. mussten in Wasserläufe eingeleitet werden, Schmiede mussten das Blut zur Ader gelassener Pferde mit einem Kübel auffangen, statt es wie bis dahin einfach auf die Straße rinnen zu lassen, für Tierkadaver waren besondere Plätze (Schindanger, Fallmeisterei) ausgewiesen – vordem waren sie häufig ins nächste Fließgewässer geworfen worden. Die Urheber der Gewässerverschmutzung lagen folgerichtig in häufigem Streit mit den Inhabern der Fischereirechte.

(s. Abdecker, Abort, Horbmeister, Hygiene, Mist, Stadtbäche, Straßen und Wege, Umweltprobleme)

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