Agrartechnik

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Agrartechnik umfasst die landwirtschaftlichen Gerätschaften und die Produktionsweisen (s. Ackerbau, Bodennutzungsformen, Landesausbau, Tierhaltung). Hier soll nur auf das bäuerliche Arbeitsgerät eingegangen werden. Zu Beginn des Mittelalter verfügte man lediglich über einfaches Gerät, das zumeist vollständig oder überwiegend aus Holz hergestellt war: der langstielige, eingliedrige Spaten (mhd. grabe, grabe-schit; spätmhd. spate) aus Hartholz, dessen Schneide der besseren Haltbarkeit wegen mit eisernem Randbeschlag versehen war; der einfache Hakenpflug (mhd. arl, arlinc, phluoc; lat. aratrum), der den Boden nur etwa 5 cm tief anritzte, wobei kreuzweise gepflügt wurde, um möglichst wenig unbearbeitete Erdsäume stehen zu lassen; (das kreuzweise Pflügen führte zu annähernd quadratischen Feldern [Blockfluren]); spätestens im 5. Jh. erschienen die ersten Langsensen zum Wiesenschnitt (s. Sense); etwa vom 6. Jh. an wurde, zunächst allerdings nur in wenigen Regionen mit überwiegend schweren Böden (wie in den Marschen der Nordseeküsten, in Thüringen und später in den Gebieten der Ostkolonisation), der Schar- oder Beetpflug (carruca) mit einem zweirädrigen Vorderwagen verwendet, der bei einer Gangtiefe von 10 bis 14 cm außer der lockernden auch eine schollenwendende – oder wenigstens beiseiterückende – Wirkung hatte. Die wesentlichen Teile waren der ein- oder zweihändige Sterz (mhd. stert, sterz = Handhabe), Messer (sech, kolter), Schar (phluocisen, artisen), Streichbrett (moltbret) und Pflugbaum (grindel, grendel; vermittelt zwischen Pflug und Radvorgestell einerseits und dem Joch der Zugtiere andererseits). Das Messer zerlegte vor der Pflugschar den Boden senkrecht, die Schar waagrecht und das Streichbrett rückte die so gelöste Scholle zur Seite; erst im 15 Jh. kam das aus einem Holzblock herausgearbeitet gewundene Streichbrett auf, das zwar ein wirkungsvolles Wenden der Scholle garantierte, aber das Gewicht des Pflugkörpers erhöhte. Da die Scholle nur nach einer Seite gewendet wurde, ergaben sich an den Stirnseiten des Ackers Leerfahrten (s. Wölbäcker). Zum Vorteil der bodenwendenden und -durchlüftenden Wirkung kamen die des tieferen Pflügens und des Wegfalls des Querpflügens. Er musste jedoch statt mit zwei Ochsen – wie der Hakenpflug – mit vier bis acht Ochsen bespannt werden. Da Wendemanöver mit einem solchen Gespann schwierig waren, pflügte man möglichst lange Feldstreifen, was zu Langstreifenfluren führte. Zur Bearbeitung frisch gerodeter, noch mit Baumstubben durchsetzter, auch steiniger oder stark verunkrauteter Felder wurde weiterhin der Hakenpflug verwendet.

Geeggt (abgeebnet) wurde mit Strauchwerk (Strauchegge) oder einer Rahmenegge mit hölzernen Zähnen. (Das Eggen bezweckte die Zerkleinerung der groben Erdbrocken, die beim Pflügen aufgeworfen wurden, und die Gewinnung einer feinkrümeligen, homogenen Krume. Nach dem Säen wurde oft nochmals geeggt, um das Saatgut unter die Oberfläche zu bringen und so vor Vogelfraß zu schützen.)

Als Zugtiere wurden Ochsen im Einzel- oder Doppeljoch angepannt, das in Stirn-, Genick- oder Widerristlage aufgezäumt wurde. Zur Anschirrung von Pferden kannte man anfänglich nur den leistungsmindernden Halsgurt, weshalb sie als Zugtiere bis zur Einführung des Kummets kaum in Betracht kamen. Zum Schneiden des Getreides benutzte man bis in die Neuzeit die (gezähnte) Sichel (ahd. sihhila, v. vlat. secula = kleine Sichel), was eine anstrengende, gebückte Arbeitshaltung erzwang; gedroschen wurde anfänglich durch Austreten mit den Füßen, durch Ausklopfen der Ährenbündel auf dem Boden oder auf Stangenrosten oder mit dem einfachen Schlagholm (Dreschscheit, Bengel). Dieser wurde bald vom zweiteiligen Dreschflegel abgelöst, wobei der arbeitstechnische Vorteil daraus resultierte, dass das beweglich am Stiel angelenkte Schlagholz (bengel) mit größerer Sicherheit parallel zum Dreschboden aufschlug, und dass die Aufschlagswucht des Schlagholzes größer war (s. Dreschen). Zur Rodung gebrauchte man Äxte, selten die aufwendig herzustellenden Sägen, sowie randbeschlagene Holzspaten und -schaufeln, Spitz- und Breithacken. Zum Gerätebestand der frühmittelalterliche Landwirtschaft zählten noch dreizinkige Holzgabeln, Holzrechen, Getreidereinigungsgeräte (geflochtene Schwingen und Siebe) und Getreidemaße (Metzen und Scheffel). Getreidekörner wurden zumeist in Handmühlen zerquetscht; Wassermühlen verbreiteten sich des hohen Bauaufwands wegen anfangs nur langsam.

Der agrartechnische Fortschritt bis zum Spätmittelalter beruhte nicht auf neuem Gerät, sondern auf der Weiterentwicklung und breiteren Verwendung des bekannten. Im 9. Jh. wurde – zunächst für Kurier- und Kriegspferde – der Hufbeschlag eingeführt. (Vordem sind hufschonende, mit Riemen befestigte Eisenschuhe [soleae ferreae] von den Römern für ihre Kriegspferde verwendet worden.) Aufgenagelte Hufeisen verwendeten erstmals die Kelten (im 1./2. Jh. v. u. Z.). Auf einem ins 8. Jh. datierten irischen Flachrelief ist eine Pferdeanspannung mit Brustgurt und seitlichen Deichseln abgebildet. Um 800 erscheint auf einer karolingischen Miniatur erstmals das ringförmige Kummet mit seitlichen Zugsträngen, das den wirkungsvollen Einsatz von Pferden als Zugtiere – zunächst vor Wagen und Eggen – erst möglich machte (die Zugleistung wurde etwa von ca. 500 auf ca. 2500 Kilopond erhöht). Bei der Anspannung von Ochsen ging man vom Nackenjoch zum Stirnjoch über, was die Leistungsfähigkeit der Tiere um das vier- bis fünffache steigerte. Vom 11. Jh. an setzte sich der Scharpflug (carruca) allgemein durch. Neben der Sichel wurde vom 13. Jh. an zum Getreideschnitt immer häufiger die Sense benutzt. Wenn die Sichel weiterhin (und in manchen Gegenden bis in die Neuzeit) zum Getreideschnitt verwendet wurde, dann deshalb, weil der Körnerverlust bei der Sichelmahd geringer war, wurden doch die Halme unterhalb der Ähren mit der freien Hand festgehalten und dadurch weniger gerüttelt. Die Verwendung der Sense auch zur Grasmahd (Gras-Sense) führte vom Hochmittelalter an zu besseren Erträgen der Heuernte; dadurch wurde die Überwinterung der Viehbestände bedeutend erleichtert. – Das hölzerne Kummet wurde mit Rosshaar gepolstert, zum einachsigen Karren kam der zweiachsige und die Schubkarre. Tierbespannte Ackergeräte und Wagen kamen häufiger zur Verwendung. Für die zweispännigen Anschirrung kamen Waagprügel und Zugscheite auf. Die erste Darstellung eines Ortscheits findet sich auf dem Teppich von Bayeux (um 1077). Es machte den Bau großer Wagen (longae carretae) erst möglich. Der Hufbeschlag (mhd. rosisen = Roßeisen) wurde auch für Ackergäule eingeführt. Neben einer wachsenden Zahl von Wassermühlen wurden vom 12. Jh. an Windmühle gebaut. Für Sonderkulturen bestanden spezielle Werkzeuge und Techniken. So verwendete man etwa im Weinbau eine arbeitstechnische Ausrüstung, die von der Antike her formbeständig geblieben war: Hacke, eisenbeschlagenen Spaten, Rebmesser, Holz- oder Korbbütten, Kelter und Fässer (Böttcher). Im 15. Jh. erscheint – als Weiterentwicklung des Schar- oder Beetpflugs – der sog. Kehrpflug (erstmals belegt in Württemberg 1425). Wo der Wendepflug die Schollen immer nach der gleichen Seite umwarf, was die Bildung von Wölbäckern zur Folge hatte, war mit dem Kehrpflug, dank eines umsetzbaren Streichbretts oder einer bilateralsymmetrischen Pflugschar, das “Ebenpflügen” möglich.

Der produktionssteigernde technologische Fortschritt im Agrarsektor vom 9. Jh. an hat die Bevölkerungszunahme und die Stadtgründungswelle des Hochmittelalter ermöglicht und kann zu Recht als “Agrarrevolution” bezeichnet werden.

(s. Bodennutzungsformen, Hufeisen, Klauenbeschlag, Ochse)

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