Augustinus, Aurelius

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Lexikon des Mittealters Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen
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Augustinus, Aurelius (354 – 430, hl.). Augustinus entstammte einer kleinbürgerlichen Familie aus Thegaste in Numidien (dem heutigen Algerien) und wurde von seiner Mutter im christl. Glauben erzogen, erhielt jedoch nicht die christl. Taufe. Nach Studien der Grammatik in Thagaste und Madaura eröffnete dem 17-Jährigen ein Mäzen die Möglichkeit, in Karthago Rhetorik zu studieren. Er betrieb sein siebenjähriges Studium eher beiläufig, führte einen ausschweifenden Lebenswandel und lebte mit einer Konkubine zusammen, die ihm 372 einen Sohn gebar. 374 wirkte er als Rhetoriklehrer in Thagaste und Karthago, 383 ging er – fast 30-jährig – nach Rom, wo er es bis zum kaiserlichen Redner brachte. 384 ließ er sich in Mailand nieder in der Hoffnung, durch Vermittlung einflussreicher Freunde Provinzialgouverneur zu werden. Während seines Studiums hatte er sich von der christl. Lehre ab- und dem Manichäismus zugewandt. In Mailand stürzte ihn ein Brustleiden in Todesfurcht, und er kehrte um seines Seelenheils willen zum Glauben seiner Mutter zurück. Er ließ sich taufen (387), ging zurück in die Provinz Africa, ließ sich zum Priester weihen (391) und wurde gegen geltendes Recht Mitbischof, später Bischof in der Hafenstadt Hippo Rhegius. Trotz angegriffener Gesundheit wurde Augustinus 76 Jahre alt. Er starb am 28. August 430; erst 1295 wurde er heiliggesprochen.

Augustinus wurde – neben Ambrosius, Hieronymus und Gregor dem Großen – zum einflussreichsten Kirchenlehrer aller Zeiten, seine Lehrsätze prägten die gesamte mittelalterliche Theologie und auch die Philosophie bis zum Sieg des Aristotelismus‘ (s. Augustinismus). In seiner Philosophie vereinte er die Lehren Platons, Aristoteles‘, der Stoiker und der Neuplatoniker mit dem christlichen Glauben. Die platonischen „Ideen“ galten ihm als Gedanken Gottes, durch welche dieser die Welt schuf. Durch die Gnade göttlicher Erleuchtung und die Kraft des Willens könne der Mensch Zugang zum mundus intelligibilis der Ideen erlangen, in dem alle logischen, ethischen, ästhetischen und mathematischen Grundwahrheiten enthalten sind. Gott selbst bleibt der menschlichen Erkenntnis entzogen.

Die vernunftbegabte menschliche Seele ist eine Schöpfung Gottes. Sie ist ein unkörperliches, unsterbliches Wesen und mit drei Vermögen begabt: Gedächtnis (memoria), Vernunft (intellectus) und Wille (voluntas). Der Wille ist frei und auch dem Intellekt übergeordnet. Auf ihm beruht alles sittliche Leben. Äußere, sinnliche Wahrnehmung und verstandesmäßiges Denken sind Akte des Willens als der wesentlichen menschlichen Strebung. Zur Erlangung der höchsten Wahrheiten müssen dem Willen jedoch göttliche Gnade und Offenbarung zuwachsen. Zudem sind sie nicht durch „äußere“ Erfahrung, sondern durch innere Erfahrung der Vernunft (interior sensus) zu gewinnen („noli foras ire, in te redi, in interiore homine habitat veritas“). Erkenntnis erlangt man durch den Glauben: „Crede, ut intelligas“ (erst glaube, wenn du erkennen willst) und Glauben durch Einsicht: „Intellige ut credas“ (erkenne, um zu glauben).

Aus seinem Werk „Confessiones“ erschließt sich sein von innerer Zerrissenheit geprägter Lebensweg bis zur Bekehrung, außerdem enthält es Reflexionen über die Erfahrung, das Bewusstsein, die Zeit u.a. Die „Confessiones“ sind insgesamt weniger der autobiographischen als der Erweckungs- und Erbauungsliteratur zuzurechnen.

Seine Vorstellungen zu Geschichte und Gesellschaft unter theologischen und ethischen Aspekten legte er in der Schrift „De civitate Dei“ („Über die Gottesstadt“) nieder: Zu der Gemeinschaft der „Stadt Gottes“ gehören außer den Engeln und den selig verstorbenen Menschen (die dem Jüngsten Gericht in „secretis receptaculis“ entgegenschlummern) auch das auf Erden weilende von Gott erwählte Volk. Dieses liegt in ständiger Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft der civitas terrena, die wegen ihrer Selbstsucht letztlich eine civitas diaboli ist. Christl. Glaubensgemeinschaft und ordnungsstiftende civitas bilden zusammen – unter der moralischen Führung der Kirche – eine Einheit, aus der Nichtchristen ausgeschlossen bleiben. Die Unvollkommenheit der gegenwärtigen Gesellschaft ist gottgewollt, und wird erst im Jüngsten Gericht, auf das die Menschheitsgeschichte hinzielt, überwunden.

Nach Augustinus gab es sechs Weltalter, entsprechend der sechs Tage der Schöpfung (AT, Buch Genesis). Das letzte der Weltalter beginnt mit der Geburt Jesu und endet im ewigen Frieden des Paradieses.

In „De doctrina christiana“ („Über die christliche Lehre“) legte Augustinus fest, welche Instrumente des antiken Bildungsgutes von den Theologen zur Bibelauslegung übernommen werden dürfen. Er favorisierte eindeutig Grammatik, Rhetorik und Dialektik und interessierte sich für Naturwissenschaft allenfalls im Rahmen der Allegorese. Die augustinische Theologie basiert auf der Erbsünde, auf der Unabdingbarkeit göttlicher Gnade für die Erlösung des Menschen und auf der Vorbestimmtheit (Prädestination) des Weltgeschehens im göttlichen Willen. Zwischen Prädestination und Willensfreiheit sieht Augustinus keinen Widerspruch. („Wir aber sagen … , dass Gott alles weiß, bevor es geschieht, und dass wir all das kraft unseres Willens tun, von dem wir fühlen und wissen, dass wir es nur freiwillig tun können. … Es ist also unserem Willen nichts dadurch entzogen, dass Gott vorherwusste, was wir wollen würden.“)

Sexualpessimismus, Lust- und Frauenfeindlichkeit des Augustinus hatten grausame und groteske Auswirkungen auf das Leben der Christenheit. (Die Erbsünde, die beim Geschlechtsakt von Generation zu Generation weitergereicht wird, bedeutet ewige Verdammnis für alle, die nicht durch Gottes Gnade in der Taufe erlöst worden sind, so etwa für ungetaufte Kinder. Der lustbefrachtete Geschlechtsakt ist sündhaft, die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht nur, solange er nicht seiner Geschlechtlichkeit unterliegt (…“ubi sexus nullus est“). Das Postulat der Unbefleckten Empfängnis Mariens, der Jungferngeburt und die Zölibatsforderung gehen auf das pathologische Sexualverständnis des großen Kirchenlehrers zurück.

Die Ausgrenzung und Bekämpfung Andersgläubiger, nicht zuletzt der Juden, konnte stets mit den Lehren des Augustinus begründet werden, welche harte Zwangsmittel zur Verfolgung von Glaubensabweichlern forderten. Die ketzerischen Donatisten redete er an: „… Gott selbst tut es an euch durch uns, wenn wir bitten, drohen, zurechtweisen, wenn euch Verluste und Leiden treffen, wenn die Gesetze der weltlichen Obrigkeit sich auf euch beziehen. Begreift, was an euch geschieht! Gott will nicht, dass ihr in frevelhafter Spaltung, losgelöst von eurer Mutter, der katholischen Kirche, zugrunde geht“. (Die Sachsenschlächterei Karls d. Gr., die Kreuzzüge, die Pruzzenjagd der Deutschherrenritter, Ketzer-, Juden- und Hexenverfolgung, die Inquisition, all dies konnte durch Berufung auf Augustinus gerechtfertigt werden.)

Im mittelalterliche Volksglauben galt Augustinus wegen einer naiven Namensexegese als Schutzpatron bei Augenkrankheiten.

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