Behinderte

Cinque Terre Forest
Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
Erkunde das Mittelalter: Über 3.979 Seiten und mehr als 6.400 Einträge bieten dir einen tiefen Einblick in diese Ära. Vom Ablass bis zur Zunftordnung - dieses eBook ist dein Guide durch die Geschichte, Gesellschaft und Kultur Europas von 500 bis 1500 n. Chr. Entdecke in „Leben im Schatten der Zinnen“ auf 122 Seiten die mittelalterliche Burgenwelt: Architektur, Alltag und ihre Rolle im Mittelalter kompakt erklärt.

Behinderte (mhd. gebrestige, gebrestliche, arme liute; lat. homines debiles). Personen, die durch angeborene oder erworbene Schädigung bleibend an Leib, Geist oder Seele erkrankt waren, bildeten im Mittelalter – sofern sie nicht in ihrer Familie oder hinter Klostermauern ein behütetes Dasein fristen konnten – den Bodensatz der unbehausten Bettlerschar. Verkrüppelte, Amputierte, Lahme, Blinde, Taubstumme stellten ihr Leiden umso drastischer zur Schau, als sie sich davon mehr Mitleid und Almosen versprachen. Schwachsinnige fanden zuweilen auch ein Auskommen als Hofnarren, meist waren sie jedoch der Spottlust des Pöbels hilflos ausgesetzt, fanden allenfalls Zuwendung im “hospitale pauperum” eines Klosters, wurden schlimmstenfalls im Narrenhäuslein weggesperrt.

Von behindert Geborenen wusste man, dass sie zur Unzeit, etwa in der Nacht zum Sonntag, gezeugt waren und ihr Gebrechen als sichtbares Zeichen göttlichen Zornes trugen. Sie wurden – obwohl die Geistlichkeit dagegen Stellung bezog – häufig kurzerhand getötet oder ausgesetzt. In anderen Fällen starben sie wegen Vernachlässigung und Verwahrlosung eines frühen Todes. Vielfach suchten die Eltern auch, Heilung ihrer behinderten Kinder durch Wallfahrten und Gelöbnisse zu erlangen.

Mirakelbücher berichten von ungezählten Wunderheilungen angeborener oder erworbener Behinderungen, so z.B. das Mirakelbuch des Priesters Wolfhard aus dem Kloster Monheim (9. Jh.), demzufolge die hl. Walburga manche gehunfähige Verkrüppelte geheilt habe, ebenso Blinde, Besessene und Stumme. Dem 1183 heiliggesprochenen Erzbischof Anno II. von Köln (11. Jh.) wird eine Vielzahl exemplarischer Wunderheilungen zugeschrieben (Miracula Sancti Annonis I, II), wiederum Blinde, Taubstumme, Gelähmte, Spastiker, Besessene und Fallsüchtige betreffend.

Von dem seltenen Fall, dass einem – wohl begüterten – Gehbehinderten mittels einer Orthese geholfen wurde, berichtet der Spiegel (36, 2011, S. 116): “Im späten 7. Jh. starb bei Würzburg … ein humpelnder Ritter mit einer seltsamen Gehhilfe am Fuß. Das … Gerät bestand aus zwei U-förmigen Eisenbändern, eins verlief unter dem Fußgewölbe, das andere um die Achillesferse.” Die Konstruktion habe dazu gedient, einem wegen Bänderrisses instabilen Knöchel Festigkeit zu geben. – Aus spätmittelalterliche Darstellungen sind primitive Prothesen und Gehhilfen (Stelzen, Stützen, Krücken) aus Holz, Eisen und Leder bekannt, mit denen sich Beinamputierte dahinschleppten. Unterschenkel-Amputierte z.B. beugten das versehrte Bein im Knie ab, sodass sie praktisch im Schaft der Stelze knieten. – Die als Eiserne Hand berühmt gewordene Handprothese des Ritters Götz von Berlichingen stammt zwar aus dem ersten Jahren des 16. Jh., dürfte aber Vorläufer im Mittelalter gehabt haben. Sie war aus Eisen gefertigt und beinhaltete eine komplizierte Mechanik, dank derer das Greifen möglich war. – Ausgefallene Zähne wurden durch Tier- oder Menschenzähne ersetzt, die mit Draht im Gebiss verankert waren.

(s. Armut, Besessene, Blindheit, Dummheit, Geisteskrankheiten, Narr, Missgeburten, Schielen, Skelettbefunde, Wunder)

Bestseller Nr. 1
Bestseller Nr. 2
Bestseller Nr. 3
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Volkert, Wilhelm (Autor)
4,35 EUR
Bestseller Nr. 5
Nach oben scrollen