Lexikon des Mittealters | Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen |
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Bibel (mhd. biblie, bibel; kirchenlat. biblia; abgeleitet v. grch. biblion, byblion = Papierrolle; zu grch. biblos, byblos = Papyrusstaude, nach der gleichnamigen phönizischen Hafenstadt, aus welcher das Bastmaterial zur Herstellung des Beschreibstoffes vornehmlich eingeführt wurde.). Bezeichnung für die Gesamtheit der Heiligen Bücher (sacra scriptura) der Christenheit, also für die Bücher des AT (Pentateuch [Thora], Propheten [Neb’im], Schriften [Ketubim] und Apokryphen [deuterokanonische Bücher]) und des NT (Evangelien, Apostelgeschichte, Briefe, Offenbarung Johanni]).
Frühe Niederschriften des AT lagen gab es ab dem 7. Jh. v. Chr., dessen Endfassung dürfte um Christi Geburt entstanden sein. Die „Schriften“ wurden z.T. erst im 4. Jh. v. Chr. verfasst.
Bis zum 4. Jh. gab es im Westen eine Vielzahl lat. Bibelfassungen. Die von Hieronymus erarbeitete Übersetzung (s. Vulgata) wurde vom 7. Jh. an für die röm. Kirche allgemeinverbindlich. Auf ihr beruhen die mittelalterliche dt. Übersetzungen. Im 11./13. Jh. wurden die allegorische Ausdeutung und die Glossierung gepflegt. Im 14./15. Jh. wurde das Bibelstudium auch unter rationalistischen Voraussetzungen betrieben. Gegen die Bestrebungen des kirchl. Interpretationsmonopols kamen im Spätmittelalter auch volkssprachliche, bebilderte Bibeln für Laien auf, die mit dem Buchdruck weite Kreise erreichten. (Der erste Bibeldruck – und zugleich ein Höhepunkt der Druckkunst – ist die um 1455 vollendete Gutenbergbibel.)
Die Kirche ehrte das Buch der Bücher als heiligen Gegenstand. Entsprechend prachtvoll war seine äußere Aufmachung und seine innere Gestaltung, entsprechend ehrfürchtig der Umgang mit ihm: es wurde während der Liturgie umhergetragen, geküsst, beweihräuchert und von einer besonderen Kerze beleuchtet. Es wurde bei Prozessionen mit verhüllten Händen mitgetragen, bei der Bischofsweihe den Kandidaten aufgeschlagen auf die Schultern gelegt und beim Eid mit den Schwurfingern berührt.
Außer dem anerkannten Text der Bibel, beruhend auf der lat. Vulgata, gab es noch gefälschte Schriften, die angeblich von biblischen Verfassern stammten, so z.B. Testamente des Stammvaters Adam und des Patriarchen Abraham, ein Evangelium des hl. Thomas, eine zweite Apokalypse des Hl. Johannes u.a.m. Kein Wunder, dass den Mönchen, die Abschriften der hl. Schrift anfertigten, äußerste Sorgfalt und Originaltreue eingeschärft wurde. P. Dinzelbacher zitiert aus einer spätmittelalterliche Handschrift des Benediktinerklosters St. Walburg (Eichstätt/Bayern): „Wer immer dies Buch abschreiben will, der soll beim Fluch des Jüngsten Gerichts und bei der Höllenpein mit allem Fleiß sich davor hüten, dass er nicht mehr und nicht weniger Worte und Buchstaben und sonst etwas anderes schreibe als genau so, wie es in diesem Buch vor ihm geschrieben ist …“
Der Volksglauben schrieb der Bibel magische Kräfte zur Abwehr böser Geister und Unwetter sowie zur Heilung von Krankheiten zu. – Im Aberglauben hatte das heilige Buch wegen der ihm innewohnenden Kraft und Heiligkeit eine besondere Bedeutung. Um die Zukunft vorherzusagen oder Träume zu deuten schlug man willkürlich eine ihrer Seiten auf, und versuchte aus dem aufgeschlagenen Text zu weissagen (Bibel-, Leseorakel). Gegen diese Art von Prophezeiung (sortilegium) wandten sich theologische Autoritäten wie Augustinus, Hieronymus und Gregor d. Gr., weltliche Obrigkeiten wie Karl d. Gr. und zahlreiche Synoden. Daraus erhellt die große Verbreitung dieser magischen Praxis, und zwar nicht bei der Laienschaft sondern bei den lesekundigen Geistlichen. Das Buch – oder auch nur eine Seite daraus – galt als umsomehr mit magischer Kraft geladen, je älter es war („Erbbibel“); einzelne Blätter oder Textstellen daraus wurden als Schutz- und Abwehrmittel am Körper getragen (Bibelamulett).
(s. Bibelauslegung, Bibelübersetzungen, biblia pauperum, Riesenbibel)