Lexikon des Mittealters | Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen |
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Brille (mhd. berillus, berille; von dem Mineral Beryll [im Falle meergrünen Färbung auch Aquamarin genannt], aus dem man um 1300 Vergrößerungsgläser für Reliquiare und Monstranzen schliff; auch: ougenspiegel). Um die Mitte des 13. Jh. beschäftigte sich der englische Franziskanermönch ® Roger Bacon mit optischen Experimenten und fand dabei die bildvergrößernde Wirkung von Kugelsegmenten aus Bergkristall und Beryll, die er in seiner Schrift „De multiplicatione specierum“ beschrieb. – In der Heidelberger Liederhandschrift (s. „Manessische Liederhandschrift“) sagt um 1270 der Dichter Missner d. Ältere sinngemäß: Wenn wir im Alter nicht mehr gut lesen können, dann nehmen wir einen klaren Spiegel, um hindurchzusehen. Unter „Spiegel“ ist nach damaligem Sprachgebrauch wohl ein klares Glas bzw. der gewölbte Lesestein (lapis ad legendum) zu verstehen, der dem Schriftträger direkt aufgelegt wurde. Der erste Hinweis auf Augengläser findet sich in einem venezianischem Dokument von 1302, in dem von „vitreos ab oculis ad legendum“ (Gläser vor den Augen zum Lesen) geschrieben steht. Der Arzt Bernard de Gordon erwähnt 1303 Augengläser. In einer Schrift des Dominikaner-Predigers Fra Giordano di Rivalto von 1305 steht: Die Erfindung der Brille sei ein göttliches Geschenk und noch nicht zwanzig Jahre alt.
Die wohl älteste bildliche Darstellung einer Nietbrille findet sich auf einem Fresko von 1352 im Kapitelsaal San Niccolo zu Treviso. Nördlich der Alpen ist die früheste Abbildung einer Brille auf dem Flügelaltar (1403/1404) des Konrad von Soest in der Stadtkirche von Bad Wildungen zu sehen, wo der lesende St. Peter mit Nietbrille dargestellt ist. Das gleiche Motiv findet sich auf einem Altar des um 1466 von Friedrich Herlin geschaffenen Altars in der Jakobskirche von Rothenburg o. T. Ein Seitenflügel des gleichen Altars zeigt die Beschneidung des Jesusknaben; hier ist es der Hohe Priester, der eine Brille auf der Nase trägt. Wiederum einen Brillenapostel zeigt der Marienaltar in der Stiftskirche von Bützow, geschaffen um 1503. (Das Attribut Brille bescheinigt den Dargestellten, gelehrte Träger heiligen Wissens zu sein.)
Die dargestellte Art von Brille hatte weder Bügel noch Haltemechanismen und musste zum Gebrauch mit einer Hand vor die Augen gehalten werden. Anhand von Brillenfunden hat man festgestellt, dass die Fassungen von Nietbrillen aus Buchsbaum- bzw. Lindenholz oder Bein bestanden. Die im 14./15. Jh. aufgekommenen Bügelbrillen hatten ein Gestell aus Bronze, Silber, Horn, Bein oder Leder. (Die Bezeichnung „Nietbrille“ kommt daher, dass die zwei Hälften der Fassung mit einem Niet zusammengehalten wurden. Bügelbrillen haben ihren Namen von dem die Nase bogenartig überspannenden Teil. Nietbrillen wurden am Gelenk oder mit einem Stiel vor die Augengehalten, Bügelbrillen auf dem Nasenrücken festgeklemmt und mit Lederriemen gehalten.) Das Brillenglas könnte aus Venedig gestammt haben oder auch aus Deutschland, wo für das 14. Jh. Glasschleifereien nachgewiesen sind. Das Glas selbst dürfte noch mit Schlieren und Luftblasen durchsetzt und nur selten völlig transparent gewesen sein. – Die für Altersweitsichtigkeit (Presbyopie) bestimmten Linsen waren konvex. Für Kurzsichtigkeit (Myopie) bestimmte konkave Gläser scheinen erst im 15. Jh. aufgekommen zu sein, einen ersten Hinweis findet man bei Nikolaus von Kues.
Die Sehhilfe verlängerte das Berufsleben von Schreibern und Feinschmieden ums doppelte und brachte so der Volkswirtschaft erheblichen Nutzen.
Vom beginnenden 15. Jh. an wurde das Tragen von Brillen allgemein gebräuchlich. „Parillenmacher“- und Brillenhändlerberuf blühten auf; als erster namentlich bekannter deutscher Brillenmacher wird 1478 ein Nürnberger namens Pfuhlmeier genannt; für 1535 ist – ebenfalls in Nürnberg – eine Brillenmacherzunft belegt.