Diätetik

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Diätetik (v. grch. diaita = Lebensweise, lat. ars diaetetica = Kunst der gesunden, vernunftgemäßen Lebensweise. Auch Eubiotik). Die Heilkunst des MA., im Frühmittelalter vetreten durch die Klostermedizin, war von Anfang an ganzheitlich ausgerichtet. Störungen der Befindlichkeit wurden seltener mit Instrumenten und Arzneien angegangen, häufiger durch Beachtung einer “ars vivendi” behoben oder verhindert, etwa durch Meditation, Gebet, Hygiene, gezielte Ernährung, geregelte Entleerung, körperliche Bewegung und Badekuren. Hildegard von Bingen nennt in diesem Zusammenhang “sex res nonnatureles”: aer, cibus et potus, motus et quies, somnus et vigilia, excreta et secreta, affectus animi (s. res naturales). Neben vielen bewährten und wirksamen Methoden gab es einen Wust von abergläubischen Praktiken (denen allerdings psychosomatische Wirksamkeit in manchen Fällen zugetraut werden kann). Allen diagnostischen und therapeutischen Überlegungen lag die Säftelehre des Galenus zugrunde. Für die Zusammenstellung einer optimalen Diät berücksichtigte man den Stand der Planeten, die Jahreszeit, das Klima, Alter und Konstitution der Zielperson (s. Komplexionen), das richtige Verhältnis von Arbeit und Speisemenge und andere Größen. Im 11. Jh. enstand an der Medizinschule von Salerno das anonyme Lehrgedicht “Regimen sanitatis Salernitanum”, das von mehreren Autoren weiterberbearbeitet und erweitert wurde und im ganzen christl. Abendland Verbreitung fand. (Als Autoren werden u.a. ein Johann von Mailand und ein Johannes de Novo Foro genannt). Darin ist den Problemen der Diätetik breiter Raum gewidmet. Folgend ein kurzer Abschnitt über die Morgenhygiene:

“Nachdem man aufgewacht ist

und sich ganz angezogen hat,

ist es gut, eine Ballade zu tanzen

oder einen Spaziergang zu machen

und sich zu vergnügen,

um schneller munter zu werden,

und die Blase zu erleichtern

und den Stuhl zu erledigen.

Außerdem muss man

einen Arm strecken

und danach den andern,

die Beine und die Füße und den ganzen Körper,

um die Geister, die sich in unseren Bauch

zurückgezogen und verschanzt haben,

während wir im Bette schliefen,

besser ganz hinaus zu jagen

oder wenigstens bis zur Peripherie zu treiben;

und damit alle Glieder munter werden,

bevor man die Kammer verlässt

und den Körper dem Morgenlicht aussetzt,

ausgeruht und munter wie ein Kobold,

ist das Abreiben gar nicht übel.

Putze dir die Zähne und halte sie sauber,

denn nichts ist so hässlich, wie …..

rabenschwarze Zähne zu sehen,

von denen ein übler Geruch ausgeht….”

Dem kirchl. Fastengebot sollte zumindest bei den Angehörigen der Oberschicht, die sich bei jeder Gelegenheit ausgiebigen bis orgiastischen Tafeleien hingaben, diätetische Wirkung zugekommen sein. Sma. Kochbücher enthielten eingehende diätetische Betrachtungen über Nutzen und Schädlichkeit von Speisen und Getränken. (So sollte man etwa im Winter, der als feucht und kalt bewertet wurde, möglichst viel essen und wenig trinken, um so den Körper am ehesten warm und trocken zu halten. Nach dem Prinzip “Contraria contrariis curantur” sollten bei kaltem Wetter [winters] Speisen mit den Qualitäten heiß und trocken gegessen werden; entsprechend empfahl man bei heißem Wetter [sommers] Speisen mit den Qualitäten kalt und feucht.) Auch der damalige Brauch, nach ausgiebiger Gasterei dem Magen durch ein Brechmittel Erleichterung zu verschaffen, dürfte in diätetischen Überlegungen wurzeln.

Wein ist aus der mittelalterliche Diätetik nicht wegzudenken. Man wusste um seine harntreibende, appetitanregende und gemütsaufhellende Wirkung. Zur Besserung vieler Krankheitsbilder tragen auch sein Gehalt an mineralischen Substanzen bei, sowie seine kreislaufanregende, atmungsvertiefende und fiebersenkende Wirkung.

Das Baden zählte ebenfalls zu den diätetischen Mitteln der Heilkunst. Die “Regimina sanitatis” enthielten detaillierte Angaben zu therapeutischen Anwendungsgebieten, zu Zeitpunkt und Länge des Bades, zur Wassertemperatur oder zu Tätigkeiten vor und nach dem Baden. Mineralbäder, Schwitzbäder, Kräuterbäder, Dampfbäder wurden zu Heilzwecken und zur Vorsorge (z.B. gegen Aussatz) frequentiert. Der Meistersinger Hans Folz gab im 15. Jh. Beschreibungen der dt. Badeorte Gastein, Wiesbaden, Ems, Wildbad, Pfeffers und zum Ellnbogen bei Eger. (s. Heilbäder)

Im Spätmittelalter verlor das antik-mittelalterliche Programm der Diätetik an Gewicht; die kurative Medizin wurde in zunehmendem Maße von der Pharmakotherapie und anderen therapeutischen Methoden beherrscht.

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