Lexikon des Mittealters | Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen |
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Gericht (mhd. geriht[e], ahd gerihti). Die mittelalterliche Gerichtsbarkeit war einem vielfältigen Wandel hinsichtlich räumlichem Geltungsbereich und sachlicher Zuständigkeit unterworfen. Oberstes Glied der Richterhierarchie war nach karolingischer Tradition der König, der seine Grafen mit dem Richteramt über Freie und Adelige in der jeweiligen Grafschaft belehnte (s. Grafengericht). Das Königsgericht wurde zwar, ebenso wie das im 13. Jh. von Friedrich II. eingerichtete Reichshofgericht, als besonders rechtskräftig angesehen, war aber wegen des bis ins 14. Jh. fortbestehenden Reisekönigtums ohne festen Gerichtsort und somit schlecht erreichbar. Im 12. Jh. verloren die Grafschaftsgerichte an Bedeutung, die Gerichtsbarkeit in den zu erblichen Lehen gewordenen Grafschaften wurde an Vögte und Schultheißen delegiert.
Unfreie unterstanden bei minderen Strafsachen der Gerichtsbarkeit des jeweiligen Grundherren, der die niedere Gerichtsbarkeit (Niedergericht) ausübte, bei todeswürdigen Delikten dem jeweiligen Hochgericht. Sma. Quellen kennen den Begriff des Notgerichts zur sofortigen Verurteilung und Hinrichtung eines handhaften Übeltäters.
Das dörfliche Niedergericht (Dorfgericht), basierend auf dem grundherrschaftlichen Hofrecht und anfangs an den Haupthof des Grundherrn gebunden, tagte unter dem Vorsitz des Vogtes oder – bei dessen Abwesenheit – auch unter dem des Bauermeisters (des burmeisters, heimbürgen oder schultheizen). Als Urteiler fungierten Geschworene aus der Dorfgenossenschaft. Es trat jährlich dreimal zusammen und behandelte minderschwere Fälle wie Feldfrevel, kleinen Tagesdiebstahl, unrecht Maß und Gewicht, Beleidigung, Schuldsachen und leichte Körperverletzung. In den Gebieten der dt. Ostkolonisation waren die Gründungsdörfer von Anfang an Gerichtsgemeinden. – Vom Dorfgericht zu unterscheiden ist das Bauergericht (budinc, heimdinc), das unter dem Vorsitz des Bauermeisters (heimbürgen) ausschließlich Gegenstände der Dorf- und Flurordnung behandelt. (Das Märkerding wird als Spätform des Bauergerichts angesehen.)
Stadtgerichte übten in ihrem Zuständigkeitsbereich (Stadt und städtisch eingemarktetes Gebiet) die niedere Gerichtsbarkeit aus. Nur größere Reichsstädte erlangten seit dem 13. Jh. die Blutgerichtsbarkeit.
Daneben gab es Lehns-, Markt-, Berg-, Deich- und Seegerichte unterschiedlicher Kompetenzen.
Geistliche Gerichte unterstanden Bischöfen oder deren Stellvertretern (Archidiakonen). Sie judizierten nach dem kanonischen Recht und waren für Kleriker zuständig sowie für Laien, soweit kirchenstrafwürdige Delikte (z.B. Ketzerei, Wucher, sexuelle Verfehlungen, Vergehen gegen das Eherecht) vorlagen.
Der mittelalterliche Gerichtshof bestand nach germanischem Brauch aus Verfahrenslenker (s. Richter) und Urteilsfindern (s. Schöffen). Der Richter berief das Gericht ein, führte das Verfahren, erteilte dem Kläger und dem Beklagten das Wort, befand über Beweismittel (Eid, Gottesurteil, Sachbeweis) und verkündete das Urteil gemäß der Empfehlung der Urteilsfinder. Der Richter erschien mit Mantel und Stab, nahm auf dem Richtstuhl Platz und leitete das Verfahren in entspannter Haltung, sitzend, Bein über Bein geschlagen. Man tagte unter freiem Himmel, unter einer Gerichtslinde oder -eiche, auf Hügeln oder in Gruben („Grubengericht“), bei großen Steinen oder auf der Straße (vor dem Stadttor, auf einer Brücke). Später trat man vor oder in Kirchen bzw. in der Gerichtslaube am Rathaus zusammen, wo Richtertisch, Schöffenbänke und Schranken aufgestellt wurden. Sofern in geschlossenem Raum getagt wurde, mussten bei der Urteilsverkündung die Fenster geöffnet werden, um der Forderung nach Öffentlichkeit Genüge zu tun. Nach dem Sachsenspiegel war es üblich, dass bei Nichterscheinen des vor Gericht geladenen Beklagten der Kläger dreimal in den Wind (in die Luft) schlug und damit den Prozess formal gewonnen hatte („unde sla tzwene slege unde eynen stek weder den Wind“).
Im Hochmittelalter entstanden Sammlungen normierter Rechtsprüche (s. Rechtsliteratur), anhand derer der Richter urteilte. Das Urteil der Schöffen war nur noch vonnöten, wenn das Rechtsbuch kein dem betreffenden Fall entsprechendes Schema enthielt.
(s. Ding, Femgericht, Hochgericht, Hofgericht, Kirchenportal als Gerichtsort, königliches Kammergericht, Landgericht, Lehnsgericht [s. Lehen], Niedergericht, Notgericht, Reichshofgericht, Sühnegericht)