Hexensalbe

Cinque Terre Forest
Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
Erkunde das Mittelalter: Über 3.979 Seiten und mehr als 6.400 Einträge bieten dir einen tiefen Einblick in diese Ära. Vom Ablass bis zur Zunftordnung - dieses eBook ist dein Guide durch die Geschichte, Gesellschaft und Kultur Europas von 500 bis 1500 n. Chr. Entdecke in „Leben im Schatten der Zinnen“ auf 122 Seiten die mittelalterliche Burgenwelt: Architektur, Alltag und ihre Rolle im Mittelalter kompakt erklärt.

Hexensalbe (mhd. smirwe, Schlaf-, Buhl-, Flugsalbe, unguentum Sabbati, u. Pharelis, u. populi, u. somniferum) war das unverzichtbare Mittel, das den Hexenritt erst ermöglichte. Sie wurde von den Hexen selbst zusammengemischt, seltener vom Leibhaftigen fertig übergeben. Auf die peinliche Befragung hin kamen die erstaunlichsten Rezepturen zu Tage, die kaum je auf Arzneiwissen beruhten, meist hingegen auf die verquere Phantasie des Verhörenden und dessen insinuierende Fragestellung zurückgingen und durch selbstbestätigende Wiederholung bald Formelcharakter annahmen. Dem “Hexenhammer” zufolge stellten Hexen die Salbe aus “den gekochten Gliedern von Kindern, besonders solcher, die vor der Taufe von ihnen getötet worden sind”, her. Auch konsekrierte Hostien und Fledermausblut, Wolfs-, Kröten- und Säuglingsfett wurden als Bestandteil genannt.

Man hat allerdings Rezepte von Salben rekonstruiert und getestet, deren Bestandteile (stets alkaloidhaltige Pflanzen; s. Drogen) durch die Haut aufgenommen werden und rauschhafte Visionen von Flugerlebnissen, von verzerrten optischen Bildern von Menschen und Fabelwesen, von Tierwerdung sowie von sexuellen Erlebnissen erzeugen können. Diese Sinnestäuschungen waren dermaßen überzeugend und der Zustand von Abgeschlagenheit nach dem Erwachen so den durchlebten Abenteuern gemäß, dass der mittelalterliche Konsument – ohne Wissen um die pharmakologischen Hintergründe – an der Realität der halluzinierten Luftfahrten nicht zweifeln konnte. In derartigen Halluzinosen dürfte der “Hexenritt” seine Herkunft gehabt haben. Doch waren pflanzliche Halluzinogene nur wenigen Kundigen bekannt; was die ungezählten Folteropfer auf die Suggestivfragen der Inquisitoren mit zunehmender Stereotypie zu sagen wussten, spiegelt nur das Wahnbild einer grassierenden Psychose wieder.

Häufig benutzte Bestandteile halluzinogener Hexensalben dürften gewesen sein:

Tollkirsche (bewirkt Euphorisierung, Delirien, intensive, meist sexuelle Halluzinationen, danach Tiefschlaf mit lebhaften Traumbildern; bei Überdosierung zentrale Lähmung, letztlich Atemstillstand.)

Bilsenkraut (macht schmerzunempfindlich, lässt noch bei offenen Augen visuelle Halluzinationen entstehen, im nachfolgenden Schlaf phantastische Träume.)

Mandragora (ruft Verwirrtheitszustände und Halluzinationen, später Dämmerschlaf mit erotischen Träumen hervor.)

Opium (schmerzdämpfende, beruhigende, euphorisierende und schlaffördernde Eigenschaften, kompensiert negative Wirkungen der Nachtschattengewächse.)

Cannabis-Extrakte (s. Hanf; sie beflügeln die Phantasie und lassen bunte Visionen entstehen; geben ein Gefühl der Leichtigkeit, des Schwebens – dadurch verantwortlich für Flugerempfindungen [s. Hexenritt]. Aktiviert Hirnbezirke, die für Triebbefriedigung zuständig sind, lähmt andere, in denen Reizaufnahme und -verarbeitung lokalisiert sind.)

Eisenhut (täuscht durch Erregung und folgende Lähmung der Hautnerven das Wachsen von Haaren oder Federn, mithin die Tierverwandlung vor.)

Schierling (wirkt lähmend auf die motorischen Nervenendigungen der Skelettmuskulatur. Vermag das Gefühl des Fliegens hervorzurufen.)

Schwarzer Nachtschatten (bewirkt erotisch gefärbte Halluzinationen.)

Daneben enthielten Hexensalben noch Pflanzen, denen eine allgemeine magische Kraft zugeschrieben wurde, darunter Hauswurz, Petersilie, Beifuß, Sellerie, Nießwurz u.a.m.

Das wohl erste von einem Arzt notierte Hexensalbenrezept stammt aus dem “puoch aller verpoten kunst, ungelaubens und der zaubrey” des Johannes Hartlieb, geschrieben 1456. Zu der mit “unguentum Pharelis” bezeichnete Salbe schreibt Hartlieb: “Zu sölichen farn nützen auch man und weib, nemlich die unhulden, ain salb die hayst unguentum Pharelis. Die machen sy uß sieben krewtern und prechen yeglichs krautte an ainem tag, der dann dem selben krautt zugehört. Als am suntag prechen und graben sy Solsequium, am mentag Lunarium, am eretag Verbenam, am mittwochen Mercurialem, am pfintztag Dachhauswurz Barbam Jovis, am freytag Capillos Veneris. Darauß machen sy dann salben mit mischung ettlichs pluotz von vogel, auch schmaltz von tieren; das ich als nit schreib, das yemant darvon sol geergert werden. Wann sy dann wöllen, so bestreichen sy penck oder stül, rechen oder ofengabeln und faren dahin. Das alles ist recht Nigromancia und vast groß verboten ist.”

Rudolf Schmitz schreibt von einer “Pappelsalbe” (Unguentum papuleon), die gegen akutes Fieber, als Schlafmittel und – verbotenerweise – als Hexensalbe verwendet wurde. Sie hätte “unter anderem aus den frischen Blättern von Mohn, Tollkirsche, Bilsenkraut und Schwarzem Nachtschatten” bestanden

Bestseller Nr. 1
Bestseller Nr. 2
Bestseller Nr. 3
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Volkert, Wilhelm (Autor)
4,35 EUR
Bestseller Nr. 5
Nach oben scrollen