Hirsch

Cinque Terre Forest
Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Hirsch (hier: Rothirsch; mhd. hirz, hirze; lat. cervus; zool. Cervus elaphus). Das in den lockeren Wäldern und Freiflächen Eurasiens beheimatete Wildtier wurde ursprünglich nur von Wölfen und Bären, später auch von menschlichen Jägern verfolgt. Männliche Exemplare können bei einer Schulterhöhe von bis zu 150 cm ca. 340 kg schwer werden, und tragen als Stirnwaffen ein Stangengeweih mit aufeinanderfolgenden Abzweigungen (Enden), das jährlich zur Zeit der Hornung (Februar, März) abgeworfen und neu geschoben wird. Weibchen bleiben zierlicher und hornlos (Kahlwild). Der Name “Rothirsch” rührt von der rotbraunen Farbe des Sommerfells her. Der herbstliche Brunftschrei, das “Röhren” der Hirsche gehört zur Romantik der europäischen Wälder. Die Heckenjagd und die Hetzjagd auf Hirsche zu Pferde und mit Hundemeuten war bis in die Neuzeit dem hohen Adel vorbehalten. Gatterhaltung und Hegebestimmungen verhinderten, dass ein Bestand überjagt wurde. Große Wilddichte brachte entsprechend große Schäden auf den Feldern der Bauern (Wildverbiss) und an Waldbäumen (durch “schälen” und “fegen” der Rinde) mit sich. Mancherorts war es den Bauern erlaubt, das Wild mit Zäunen und Hecken von den Feldern fernzuhalten, aber auch durch Lärmen sowie durch Hunde oder mit Steinen und Stöcken zu vertreiben. Sollte dabei ein Stück fallen, so gehörte es dem Grundherrn.

Der “Physiologus” berichtet von der Urfeindschaft zwischen Hirsch und Drachen. Der Hirsch wüsste den Drachen mittels eines Schwalls ausgespienen Wassers aus seiner Höhle zu treiben und zu töten. “So hat auch unser Herr getötet den großen Drachen, den Teufel, durch die himmlischen Wasser, nämlich durch die göttlichen Heilslehren.”

Auch Hildegard von Bingen fabuliert von der Zwietracht zwischen Schlangen und Hirschen. Ihr zufolge reizt der Hirsch die Schlange (unck) durch sein Gebrüll so lange, bis sie ihm ins aufgerissene Maul springt und er sie verschlingen kann. Vom Hirschgeweih sagt sie: “Schabe auch etwas von dem Geweih ab und verbrenne es mit Weihrauch, so vertreibt der Geruch die Luftgeister, hemmt Hexerei und Zauber und vertreibt die bösen Würmer.” Warm verzehrtes Hirschfleisch reinigt ihr zufolge den Magen, Hirschleber vertreibt die Gicht.

In der Volksmedizin gab es unzählige Indikationen für Heilmittel vom Hirschkörper; so galten Geschlechtsteile (Geilen, Rute) des erlegten brünftigen Hirsches als Fruchtbarkeits- und Potenzmittel, Abkochungen davon sollten auch gegen Seitenstechen, Lungenleiden und Ruhr helfen. Hirschleber wurde gegen Gicht und Wassersucht, Lunge gegen Husten und Schwindsucht, Herz gegen Fallsucht und Abort sowie als Cardiacum, Talg und Schmer (unslit) gegen Hautwunden und Geschwüre und Blut gegen alles Mögliche gebraucht. Konrad von Megenberg empfahl Hirschfleisch gegen Fieber, das eines ungeborenen Kalbes gegen Schlangenbisse und Vergiftungen. Schier unzählbar sind die Zubereitungen aus Hirschhornpulver und -asche; sie halfen gegen Besessenheit und Gelbsucht ebenso wie gegen Blasenleiden, Durchfall, Gebärmuttervorfall, Krätze oder Pest. Hirschtalg wurde zur Pflasterherstellung, Hirschhorn auch als Zahnreinigungsmittel gebraucht.

Geweihstangen des Hirsches galten als Zaubermittel, wurden als Apotropäon am Hausgiebel angebracht oder in Bruchstücken als Amulett getragen. Das “Hirschkreuzlein”, ein kleiner kreuzförmiger Knochen aus der Vertikalscheidewand des Hirschherzens, galt als äußerst wirksames Herzmittel.

In christlichen Legenden ist der Hirsch den Heiligen Hubertus und Eustachius beigesellt. – In der Gründungslegende des Erlöserordens ist es ein Hirsch mit einem Kreuz im Geweih, der die franz. Theologen Johann von Matha und Felix von Valois dazu inspirierte, nach Rom zu pilgern und vom Papst die Erlaubnis zu Gründung des Ordens zu erbitten.

Der Hirsch spielt eine Rolle in unzähligen Märchen und Sagen. – Dietmar (Thietmar) von Merseburg berichtet in seiner “Chronik”, dass eine Hirschkuh Pippin, Sohn Karls d. Gr., zu einer Furt durch den Main geführt habe, an welcher dann Frankfurt entstanden sei (“cervam praedentem … quasi viam eis demonstrantem … Inde locus hic Francorum dictus est vadus.”). – Auch in Gregor von Tours “Historia Francorum” war es eine Hindin, die auf ein Gebet König Chlodwigs hin diesen zu einer Furt durch die Vienne geführt hat.

(s. Damwild, Hubertus, Jagd, jagdbare Tiere)

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