Lexikon des Mittealters | Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen |
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Hugo von St.-Victor (Hugo de Sancto Victore; um 1100 – 1141). Möglicherweise im sächsischen Hartingham, aus dem Geschlecht der Grafen von Blankenburg geboren, erhielt seine erste Ausbildung im ostfälischen Chorherrenstift St. Pankraz in Hamersleben (bei Halberstadt), wurde nach längerer Wanderschaft gegen 1115 Mitglied des Augustinerchorherrenstifts St. Victor in Paris und Lehrer an der hochgeachteten Stiftsschule, deren Leiter er ab 1133 war. Er stand in der Tradition des Augustinus (daher sein Beiname „alter [lat., = der andere, der zweite] Augustinus“) und des Dionysius Areopagita. Den artes, also den Wissenschaften seiner Zeit, gegenüber verhielt er sich jedoch aufgeschlossen, ja neugierig (daher sein weiterer Name Hugo Physicus). Ein programmatischer Satz Hugos lautet: „Omnium expetendorum prima est sapientia” (Von allen erstrebenswerten Dingen ist die Weisheit die vornehmste); ein anderer: „Omnia disce, videbis postea, nullum esse superfluum. Coarctata scientia iucunda non est.“ (Lerne alles, du wirst später sehen, dass nichts überflüssig ist; ein eingeengtes Wissen bringt keine Freude.) Gemäß dieser Überzeugung entsteht sein „Eruditionis didascalicae libri septem“ (Sieben Bücher der Gelehrsamkeit) oder „Didascalicon de studio legendi“ (didascalicon, grch., = „das dem Unterricht, der Bildung dienende“), ein Kompdendium allen theologischen und profanen Wissens, gestützt auf Johannes Scotus und Augustin. Dieses Bildungsprogramm ist in drei Kategorien unterteilt, die durch eine vierte, die Logik verklammert sind. In seinem Didascalicon erweist sich Hugo als der erste wissenschaftliche Denker des MA., welcher die Handwerkskunst einer positiven Bewertung für würdig erachtet. Diesem Urteil folgte Thomas von Aquin (1224-74) wenn er feststellte: „Septem artes liberales non sufficienter dividunt philosophiam theoricam“ (mit den artes lässt sich die theoretische Wissenschaft nicht erschöpfend gliedern).
1.) Das theoretische Wissen (philosophia theoretica)
- a) Theologik (theologia)
- b) Zahlentheorie (mathesis)
- Astronomie
- Geometrie
- Arithmetik
- Musiktheorie
- c) Naturwissenschaft (physica)
2.) Die praktische Philosophie (philosophia practica)
- a) Ethik (ethica; Theorie des Handelns)
- b) Ökonomie (oeconomia; Wirtschftslehre)
- c) Politik (politica; Staatslehre)
3.) Die außerordentlichen Wissenschaften (scientiae mechanicae, septem artes mechanicae)
- a) Webkunst (lanificium)
- b) Waffenhandwerk (armatura) und Baukunst (architectura)
- c) Schiffahrtskunde (navigatio)
- d) Ackerbaulehre (agricultura)
- e) Jagdkunst (venatio)
- f) Heilkunst (medicina)
- g) Schauspielkunst (scientia theatrica, scientia ludorum)
4.) Logik (ars logica)
- a) Sprachlogik (logica sermonicalis)
- Grammatik, Rhetorik, Dialektik
- b) Verstandeslogik (logica rationalis)
Die Geschichtswissenschaft wird in diesem Programm der Theologie zugerechnet.
Eine entsprechende Systematisierung des gesamten ihm zugänglichen theologischen Wissens gibt er in seinem Hauptwerk, dem umfangreichen „De sacramentis christianae fidei“ (Über die Geheimnisse des christlichen Glaubens). Beginnend mit der Schöpfung handelt Hugo darin von der Lehre über Gott, von der Erlösung, der Kirche, den kirchl. Sakramenten und eschatologischen Fragen. Seine Überlegungen zum Ablauf der Weltgeschichte brachten ihn zu der Ansicht, dass dem fortwährenden Wandel des irdischen Zeitgeschehens, dem Auf und Ab guter und böser Mächte, ein geheimer, guter Sinn zugrunde liegen müsse, dass das Reich Christi sich entgegen allem Anschein unaufhaltsam entfalte. Als eines seiner naturwissenschaftlichen Werke sei die „Practica Geometriae“ genannt. In Anlehnung an Dionysius Areopagita äußert er sich in „De consecratione ecclesiae sancti Dionysii“ zur Lichtmetaphysik und Harmonienlehre. Als Leitfaden zur Erziehung der Klosterschüler schrieb er „De institutione novitiorum“; das Werk ist nach Psalm 118,66 „Bonitatem, et disciplinam, et scientiam doce me“ gegliedert; ausführlich äußert er sich zur disciplina, der Wohlanständigkeit in Kleidung, in der Gestik, in der Sprechweise und bei Tisch. Hugos Anstandsregeln finden sich in der höfischen Kultur wieder.
Auf seine Nachwelt hat Hugo tiefgehenden Einfluss ausgeübt, so auf Petrus Lombardus, Alexander von Hales, Bonaventura und Albertus Magnus. Sein umfassendes Wissen und sein Bemühen um wirksame Pädagogik machten ihn zu einem Wegbereiter der universitären Bildung des MA.