Hungersnöte

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Hungersnöte (mhd. hungernot; lat. fames). Missernten und Kriegswirren zogen bei der geringen Produktivität der Landwirtschaft und der unzureichenden Vorratshaltung Hungersnöte mit verheerenden Folgen nach sich. Die hungernde Bevölkerung war anfälliger für Seuchen, der seuchenbedingte Ausfall an Arbeitskraft verschärfte die Mangellage weiter.

Von 800 bis 1300 gab es aufgrund günstiger klimatischer Verhältnisse (mittelalterliches Optimum) überwiegend lokale Hungersnöte, deren jede für sich wegen der unzulänglichen Vorratshaltung für die Betroffenen katastrophal war. (792/93, 804-806, 845, 868, 874, 941 und 1005 gab es Hungersnöte in Frankreich und Deutschland.) Zum Jahr 1060 berichtet die Klosterchronik Altaich: “Im ganzen Reich gab es einen so strengen Winter, dass infolge der großen Menge Schnee, der so lange liegen blieb, viele Menschen ihr Leben verloren, dann folgte eine so große Überschwemmung.” Bremen erlebte in den Jahren 1066 und 1072 Hungersnöte, bei denen “viele Arme tot in den Gassen” gefunden wurden. Der Winter 1075/76 war im Augsburger Land “ohne Unterbrechung streng, und die Schneelast blieb vom 15. November bis zum 15. April liegen, sodass die Bäume verdorrten, danach brachte das Land so wenig an Feldfrüchten, dass es sogar an Saatgut fehlte.” 1083 verdorrte die Ernte in Sachsen auf den Feldern. 1094, 1099-1101, 1124-26, 1145-1147 und 1195-1198 waren Hungerjahre in ganz Europa. Die Hungersnot von 1225/26 war mit einem großen Viehsterben verbunden.) 1145 berichten die Annalen des oberösterreichischen Klosters Reichersberg von einer vorangegangenen, 7 oder 8 Jahre währenden Kälteperiode und Hungersnot. (“In dieser unfruchtbaren Zeit sind fast in allen Ländern zahllose Menschen an Hunger gestorben; die übrigen haben ihr Leben mit Kräutern, Pflanzenwurzeln und auch mit dem Verzehr von Baumrinde kläglich gefristet. Manche machten es sich auch zur Gewohnheit, dem Großvieh wöchentlich Blut abzuzapfen und erhielten mit dieser Nahrung ihr Leben.”) Große Hungersnöte herrschten nach Magdeburger und Erfurter Annalen, auch nach Aufzeichnungen aus Gembloux (Belgien), Ottobeuren (Schwaben) und den französischen Cambrai im Jahr 1151. In Friesland und Westfalen gab es nach verregneten Vorjahren und infolge von vorangegangenem Viehsterben 1272 “eine sehr große Hungersnot”. Zudem war im genannten Jahr fast das gesamte Sommergetreide wegen Dürre verdorben.

Danach kam die Klimawende zur “Kleinen Eiszeit”. In den Jahren zwischen 1315 und 1318 kam es infolge dreier aufeinanderfolgender kalter und nasser Sommer europaweit zur größten Hungerskatastrophe des Spätmittelalter mit vielen Todesopfern (“Allenthalben in Teutschland ist ein großer sterb gewest […] also dass man dafür gehalten, es wäre der dritt Teil aller Menschen gestorben”; zit. nach Judith Mader). Aus Westeuropa wird von Kannibalismus berichtet. Vorausgegangen waren mehrere Jahre mit überdurchschnittlichen Niederschlägen und niedrigerer Temperatur (für 1315 berichtet die Windsheimer Chronik, die Menschen hätten “allerleys, hund, pferd und dieb vom Galgen gefreßen”.) Die Missernten setzten eine Kettenreaktion von hungerbedingtem Arbeitsausfall, erhöhter Krankheitsanfälligkeit, verminderter Reproduktionsrate, Viehseuchen, Landflucht, Teuerung, Kriminalität und Verelendung in Gang. Verheerende Folgen hatte die europaweite Hungersnot der Jahre 1437/38 nach extrem kalten und langen Wintern. Der Teufelskreis von Missernten, Teuerung, Hunger, Unterernährung und Seuchen betraf alle Länder von England und Flandern über Frankreich und die meisten dt. Länder bis in die Schweiz. In Österreich, Bayern, Franken, Sachsen, Schlesien und Brandenburg verschärften die Gräuel und Verheerungen der Hussitenkriege (“Hussenreis”, 1419/36) die Situation.

Viele mittelalterliche Heiligen- und Wohltäterlegenden handeln vor dem Hintergrund von Hungersnöten und schildern die Speisung darbender Armer, so etwa die Legende von der hl. Elisabeth von Thüringen. Eine der Wundersagen in dem Dialogus miraculorum des Caesarius von Heisterbach erzählt, wie während der Hungerzeit um 1197 kleine Teigstücke für Semmeln im Ofen zu großen Brotlaiben aufgingen.

(s. Armut, Brot, Brotseuche, Dürre, Heuschreckeneinfälle, Kältezeiten, Kannibalismus, Klima, Krankheiten, Missernten)

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