Krankheiten

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Lexikon des Mittealters Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen
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Krankheiten (mhd. krancheit, krankeit, siechtuom, siechtac; lat. morbus, , aegrotatio). Unser Wissen über Krankheiten im Mittelalter stammt aus zeitgenössischen Bild- und Textquellen (Chroniken, Stadtbüchern, Testamenten, Wunderberichten usf.), sowie von pathopaläologischen Erhebungen an Skeletten, von molekularbiologischen Erregernachweisen und von archäologischen Funden etwa von Parasiteneiern in Abortgruben. Bei dem Versuch, anhand der Schriftquellen eine Krankheit retrospektiv zu bestimmen, stehen Medizinhistoriker vor mehreren Schwierigkeiten: Einmal unterscheidet sich die Terminologie nach Zeit und Dialekt, zum anderen wird fast durchgehend das Leitsymptom einer Krankheit mit der Krankheit selbst gleichgesetzt, weiters ist der den Autoren eigene magische, religiöse und naturphilosophische Hintergrund kaum noch nachzuvollziehen. In Anlehnung an die Lehre Galens gliederten mittelalterliche heilkundliche Werke die Krankheiten nach dem Schema „von Kopf bis Fuß“. Exemplarisch für eine mittelalterliche Krankheitenlehre ist die „Heilkunde“ (causae et curae) der hl. Hildegard von Bingen (1098 -1179). Im einzelnen beschreibt sie: Kopfschmerzen, Hirnleiden, Augen- und Zahnerkrankungen, Lungenkrankheiten (Schwindsucht, von mhd. swinen = abnehmen), Husten (mhd. huoste), Lähmungen infolge „Schlag“ (mhd. slac gotes; s. Schlaganfall), Gicht, Verdauungsstörungen verschiedener Symptomatik, Sexual- und Frauenleiden, Hautkrankheiten und Geschwülste verschiedener Art einschließlich Krebs (krebiz). Besondere Beachtung fanden wegen der existentiellen Bedeutsamkeit die Ohrkrankheiten und Augenleiden (s. Augenärzte, Augenheilkunde).

Jede Geburt stellte wegen der unhygienischen Begleitumstände ein hohes Risiko für Gesundheit und Leben von Mutter und Kind dar. Viele Neugeborene starben bei oder kurz nach der Geburt an Geburtstraumata oder Sepsis, viele Mütter (ca. 3 %) kamen im Wochenbett durch Verletzung der Geburtswege und Kindbettfieber zu Tode. (s. Geburt, Gynäkologie, Hebamme, Wochenbett)

Wegen des unheilbaren Verlaufs und der abstoßenden Entstellungen war von den Hautkranheiten die Lepra (Aussatz, Miselsucht) besonders gefürchtet, obwohl sie nicht mit dramatischer Sterblichkeit verbunden war. Die Lepra hatte sich, vom vorderen Orient kommend, im frühen Mittelalter im ganzen Abendland verbreitet und erlosch im ausgehenden Mittelalter aus unbekannten Gründen.

Typhus, Pocken, Cholera, Diphtherie, Fleckfieber, Virusgrippe, Tuberkulose sowie Bakterien- und Amöbenruhr (s. Ruhr) verursachten infolge unglaublich primitiver hygienischer Verhältnisse und wegen der durch Mangel- und Fehlernährung herabgesetzten Abwehrkräfte in der Bevölkerung große Verluste. Die Malaria war hauptsächlich auf den Mittelmeerraum beschränkt, forderte dort aber erhebliche Opfer auch unter deutschen Heeren und kostete selbst einigen Kaisern und Päpsten das Leben.

Viele Opfer forderte Brot aus Roggenmehl, das durch Mutterkornpilze vergiftet war (s. Brotseuche) und solches, das Samen des Getreideunkrauts Kornrade enthielt. (Kornrade, Agrostemma githago, enthält giftige, hämolytisch wirkende Glykoside [Saponine].) Vielfach setzte man den Mutterkornbrand mit dem Milzbrand gleich, wenn auch in manchen Gesundheitsbüchern (z.B. in dem „Epidemiologischen Merkvers“ von 1305) zwischen sacer ignis und anthrax unterschieden wurde.

Die Pest wütete von 1347 bis 1352 (danach noch mit weiteren Wellen 1360/61, 1369/74, 1380/81, 1385) in Europa und raffte ein Drittel der Bevölkerung dahin. Obwohl keinerlei Einsicht in Krankheitsursachen und Ansteckungsweisen bestand, wurden mit Quarantäne und Absonderung der Kranken (s. Leprosorium, Siechenhäuser) sachgerechte Maßnahmen ergriffen.

Unter der vielfach erwähnten Gicht wurden wohl auch Arthritiden verschiedener anderer Ursachen verstanden. Die Rachitis wurde wohl nicht als spezifische Krankheit gesehen sonder enrsprechend ihrer entstellenden Folgeerscheinungen – etwa als hover (Buckel) oder leme, lemde (Lahmheit) – bezeichnet.

Allgemein verbreitet dürfte der chron. Parasitenbefall gewesen sein, der die Abwehrlage der Bevölkerung entscheidend verschlechterte. –

Einige Geschlechtskrankheiten wurden als durch Kontakt übertragen erkannt und man suchte sie durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu vermeiden. Die Syphilis fand ihren Weg 1495 auch nach Deutschland, nachdem sie durch die Seeleute des Kolumbus von den Antillen nach Barcelona gebracht worden war. –

Zahnkrankheiten, wie sie aus archäologischen Skelettbefunden erschlossen werden können, plagten einen Großteil der Bevölkerung. Ihre Behandlung war nur in geringsten Maße Sache der gelehrten Medizin, sie blieb den von den Ärzten verachteten Zahnkünstlern überlassen. –

Gefürchtet war die Tollwut, gegen die man sich durch das Schlagen herrenloser Hunde und durch Umhegung der Wohnstätten zu schützen suchte. Als Behandlung kannte man das Ausbrennen der Bisswunde, das Anrufen des hl. Huberus und viele abstruse Mittel der Volksmedizin (z.B. das Ausschneiden des „Tollwurms“ aus der Zunge des kranken Hundes [s. tierheilkundliche Fachschriften]). –

Geistesgestörte und Epileptiker (s. Fallsucht, Geisteskrankheiten) galten häufig nicht als Kranke, sondern als Besessene, ihre abweichenden Verhaltensweisen als von einwohnenden Dämonen verursacht.

(s.a. Arthrose (s. Skelettbefunde); Augenleiden (s. Augenheilkunde), Behinderte, Berufskrankheiten, Cholera, Diabetes, Englischer Schweiß, Epidemien, Epilepsie (s. Fallsucht), Fieber, Fluss, Frakturen (s. Wundarzt), Frais, Gelbsucht, Harnsteine (s. Steinschneider), Hernien (s. Bruchschneider), Herzkrankheiten, Husten, Impotenz, Katarrh (s. Virusgrippe), Keuchhusten, Kinderkrankheiten (s. Kinderheilkunde), Kolik, Kopfleiden, Krätze, Krüppel (s. Behinderte), Lungenentzündung, Mutterkornbrand/St. Antoniusfeuer (s. Brotseuche), Ohrkrankheiten, Pest, Puerperalkrankheiten (s. Geburt, Gynäkologie und Geburtshilfe, Hebamme, Wochenbett), Schlaganfall, Schmerz, Seelenschmerzen, Skorbut, Skrofulose, Taubheit (s. hören), Trachom, Vergiftung (s. Gifte, Gegengifte), Verdauungsstörungen, Veitstanz)

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