Lachen

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Lachen (mhd. lach, lachen; lat. risus, ridere). Lachen ist eine genuin menschliche Ausdrucksform (risibilitas est proprium hominis), die uns vom Tier (mit Ausnahme der Menschenaffen) unterscheidet. Als kulturelles Phänomen ist seine Bewertung von den jeweiligen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Verhaltensnormen her definiert. Soweit Lachen als Ergebnis sozialer Interaktion zustande kam, beruhte es auf Werkzeugen wie Wort- und Sprachwitz, Stimme, Mimik, Gestik und Kostümierung.

Die Skala der Lachensweisen reicht je nach auslösender Situation und persönlicher Reaktionsweise mit vielen Schattierungen vom mild-seligen oder schüchtern-verlegenen Lächeln (mhd. lecheln; lat. subridere, arridere) über dümmliches oder schadenfrohes Grinsen, verhaltenes Kichern (ahd. kichazzen, lat. cachinnatio), fröhlich-schallendes Lachen, provokantes Auslachen bis zum zügellos-brüllenden Lachkoller (mhd. gelach; lat. risus immoderatus; risu dirumpi/vor Lachen bersten) und zum verächtlichen, hämischen, schadenfrohen, übelwollendem, “teuflischen” Gelächter (lat. irridentium, risus daemonum), von welch letzterem man sich die Hölle erfüllt dachte.

Christliche Eiferer verurteilten jedes Gelächter als unangemessen und töricht, als Ausdruck niederer Instinkte, und konnten sich dabei auf biblische Texte berufen (“Lachen ist nur Verrücktheit” [Koh 2,2]; Christen seien “stultiloquium” (albernes Gerede) und “scurrilitas” (Possenreißerei), wie sie von Pantomimen und Jokulatoren betrieben würden, nicht gestattet [Eph. 5,4]); Christus habe nie gelacht oder auch nur gelächelt (Johannes Chrysostomos, um 345-407); die Mönchsregel Basilius´ d. Großen (um 330-379) gestattet des Lächeln, lautes fröhliches Lachen sei den Christen jedoch für die jenseitige Welt vorbehalten; Johannes Klimakos, ein Mönchsvater des Ostens (7. Jh.), konstatiert, dass nichts der Demut so sehr entgegenstehe wie das Lachen; St. Benedikt (um 480 – um 550) verfügte für seine Mönche: “verba vana aut risu apta non loqui; risum multum aut excessum non amare” (Cap. 4). Dem Christen waren allenfalls heilige Scherze (“spiritualiter salsa”) zugestanden. Erst den Heiligen im Paradies stünde ein glückliches Lachen zu. Bernhard von Clairvaux (1090-1153) warnt seine Brüder vor häufigem und lautem Lachen: es führe direkt auf den Pfad der Lasterhaftigkeit.

Nicht nur Mönchen sondern auch Weltgeistlichen war das Lachen nach dem Kirchenrecht untersagt. Nach der berühmten Sammlung von Kirchengesetzen “Decretum Gratiani” (um 1140) durften Geistliche nicht an Feiern teilnehmen, in deren Verlauf üblicherweise Lustigkeit und Gelächter aufkamen.

Es darf bezweifelt werden, dass diese rigorose Abwertung dem Volk das Lachen hat vergehen lassen. Selbst in den Klöstern entstand trotz aller lachfeindlichen Vorschriften mit den “joca monachorum” eine entgegengesetzte literarische Gattung. Der höfischen Etikette hat ausgelassenes Gelächter in Gesellschaft schon deswegen nicht entsprochen, weil es das Ideal der maze verletzt hätte. So verfolgt denn in zeitgenössischen Darstellungen höfischer Belustigung das Publikum die Possen eines Schalksnarren allenfalls mit einem amüsierten Lächeln. Selbst bei Vergnügungen, die ohne frohes Lachen kaum vostellbar sind, wie z.B. beim Ballspiel, beim Reigen oder beim festlichen Schmausen, erscheinen die Teilnehmer seltsam ernst und unfroh. Der König allerdings sollte dem Bild eines “rex facetus”, eines freundlich-launigen Herrschers entsprechen. Lachende Gesichter finden sich in der bildenden Kunst des Mittelalter allenfalls bei den Erlösten des Jüngsten Gerichts (Tympanon des Fürstenportals am Bamberger Dom), bei dem Jesusknaben (sog. Fuststraßen-Madonna, Mainz, Dommuseum; um 1250), bei unschuldigen Kindern (“Zug der Seligen”, Naumburger Meister, um 1239), bei Darstellungen der törichten Jungfrau (am südl. Portal der Westfront des Straßburger Münsters, um 1280) oder der Luxuria (Eichenholzrelief v. ca. 1330, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin). Das Lachen törichter Weiber kann als Ausdruck der Frauenfeindlichkeit der Zeit gelten: ungebildeten, dummen Weibern war ausgelassenes, schallendes Gelächter wesensgemäß. Als Letztes sei das hämisch-triumphierende Grimassieren der Dämonen in Szenen der Verdammnis und der Hölle genannt, wie sie in der Kathedralplastik häufig erscheinen (z.B. Paris, Notre-Dame, Weltgerichtsportal; Chartres, Notre-Dame, Mittelportal südl. Vorhalle).

Vom 11./12. Jh. an milderte sich die ablehnende Haltung der Kirche. Parodie und Satire fanden Eingang in die mlat. Literatur, komische Szenen lockerten auch geistliche Spiele auf, Groteskfiguren erschienen in der Bauplastik. Beim Ostergottesdienst wurde es Sitte, in die Predigt lustige Märlein einzuflechten, um die Gläubigen zum “Osterlachen” (Risus Paschalis) anzuregen.

Der Mönch Notker Labeo von St. Gallen (11. Jh.) definierte den Menschen (in Anlehnung an Aristoteles und Boethius) als vernünftiges, sterbliches und des Lachens fähiges Wesen; er könne nicht nur lachen, sondern auch Lachen hervorrufen (“Quid est homo? Risibile. Quid est risibile? Homo”).

Constantinus Africanus (11. Jh.) hält das Lachen für das Staunen der vernünftigen Seele über etwas, was sie nicht zu erfassen vermag, was nicht vernunftgemäß ist. Hildegard v. Bingen (12. Jh.) äußert sich in “Causae et curae” vom medizinischen Standpunkt her zu dem Thema: “Unpassende Freudenbezeugungen und das Lachen haben nämlich einige Gemeinschaft mit der fleischlichen Lust, und derselbe Wind, der das Lachen erregt, erschüttert auch, vom Mark … herkommend, seine Lenden und Eingeweide. Zuweilen treibt das Lachen durch zu starke Erschütterung das Tränenwasser aus dem Blut der Gefäße zu den Augen ebenso hinaus, wie auch der Schaum des menschlichen Samens aus dem Blut der Gefäße durch die Glut der Lust ausgetrieben wird.” ” … der vorerwähnte Wind (trifft) nach seinem Austritt aus dem Mark zunächst die Lenden, ergreift dann die Milz, …, breitet sich darauf bis zum Herzen hin aus, erfüllt die Leber, bringt so den Menschen zum Lachen und macht in wieherndem Gelächter seine Stimme der Stimme des Viehs ähnlich.” Gemäß der Säftelehre hatte das Lachen ein gesundes, reines Blut zur Voraussetzung; dafür, dass mit dem Altern das Lachen verschwindet, ist die sich verschlechternde Qualität des Blutes verantwortlich, in welchem nunmehr die schwarze Galle (melancholia) vorherrscht.

Aufgrund der Auseinandersetzung der Theologen des 13. Jh. mit den aristotelischen Schriften (besonders der Nikomachischen Ethik) ergab sich eine positivere Bewertung des Humors und des maßvollen Lachens, die nunmehr als notwendig für die Entspannung des menschlichen Geistes angesehen wurden (Albertus Magnus in Super Ethika, Thomas von Aquin in Summa theologiae).

Im Märchen war es dem Helden gegeben, durch sein Lachen die Blumen zum Blühen zu bringen. Im “Apollonius von Tyrland” des Heinrich von Neustadt heißt es: “der lachet, daz es vol rosen was/perg und tal, laub und gras”. – Von wiedererwachte Scheintoten wusste man, dass ihnen das Lachen auf ewig vergangen war: “De resurgentibus dicitur, quod ridere non soleant” (Caesarius von Heisterbach, Dialogus I, 32). –

(s. Groteskfiguren, Hofnarr, Humor, Joculator, Komik, Lügendichtung, Narr, Arztspiel, Fasnachtsspiel, Gerichtsspiel, Kinderbischofspiel, Mimus, Spott, verkehrte Welt)

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