Lepra

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Lepra (von grch. lepis = Schuppe; auch Aussatz [mhd. uzsaz, uzsetze, uzsieche], da die Kranken ausgesetzt wurden], lazerich [nach dem Bettler Lazarus], miselsuht [v. mlat. misellus = erbarmungswürdig] oder malzey, malaterie, maletrie [v. frz. malade]). Verursacht durch Mycobacterium leprae, einem dem Tuberkuloseerreger ähnlichen Bakterium, das im 4. Jh. von röm. Legionären aus Arabien und Palästina nach Westeuropa und Südengland eingeschleppt worden war. Die Krankheit erreichte ihre größte Verbreitung im 8. Jh., nahm bis zum 11. Jh. ab um dann im 12. Jh. – wahrscheinlich durch neue Kontakte mit dem vorderen Orient – wieder aufzuflammen. Aus ungeklärter Ursache ging die Infektiosität von der ersten Hälfte des 14. Jh. an zurück. (Wegen der ähnlichen Krankheitserscheinungen an der Haut und wegen der örtlichen Missempfindungen wurde seinerzeit Lepra häufig mit Hautmilzbrand [s. Milzbrand], Schuppenflechte und Krätze verwechselt. Milzbrand war häufig mit massenhaftem Verenden von Kühen und Schafen verbunden.)

Die Krankheit manifestiert sich nach unterschiedlich langer Inkubationszeit (einige Monate bis 40 Jahre) meist als Haut- und Schleimhauterkrankung mit zunehmender Schmerzunempfindlichkeit (Lepra anaesthetica), Pigmentstörungen, Schwellung und Knotenbildung (“Löwengesicht”); chronische Folgen sind Nervenschäden, Lähmungen, Gewebstod (Lepra mutilans) und Skelettschäden. Gelegentlich treten akute Schübe mit Fieber und heftiger Allgemeinerkrankung auf. Die Ansteckung erfolgt durch Kontakt- oder Tröpfcheninfekt seitens infektiösen Nasenschleims oder der Absonderungen lepröser Geschwüre über Hautläsionen oder über die Schleimhaut des Nasen-Rachen-Raumes. Die Ansteckungsgefahr ist weitaus geringer, als im Mittelalter befürchtet wurde. (Bei unvollständiger Durchseuchung der Bevölkerung und einem etwa 98%-igen symptomlosen Verlauf war die Manifestationsquote mit ca. 0,5% unerheblich.) Der Schrecken, den die Krankheit verbreitete, beruhte auch nicht auf einer hohen Sterblichkeit, sondern auf ihrer Unheilbarkeit, der abscheuerregenden Verstümmelung von Gesicht und Gliedmaßen und dem süßlichen Fäulnisgeruch, der von den Kranken ausging.

Trotz der richtigen Einordnung der Krankheit als morbus contagiosus bestand nach Meinung mittelalterliche Ärzte die Ursache der Krankheit in der Verderbnis oder im Überhandnehmen der schwarzgalligen Säfte (de nigra colera) und des schwarzen Blutes (de nigro sanguine), welche ihrerseits durch sexuelle Unenthaltsamkeit und durch unmäßiges Fressen und Saufen, durch falsche Ernährung (z.B. durch übermäßigen Genuss von Schnecken, Pferdefleisch, Eselsfleisch oder Linsen, die als melancholisch eingeordnet wurden), durch verdorbene Luft (geschwängert etwa mit den Ausdünstungen der Kranken oder mit deren unreinem Atemhauch), durch verdorbenen Samen der Eltern oder andere Einwirkungen ausgelöst wurde. Valescus a Taranta (1382-1417), ein Arzt der Schule von Montpellier, hat vorgeschlagen, lepröse Männer zu entmannen, damit sie die Krankheit nicht an ihre Kinder weitergeben könnten. Theologen waren der Meinung, Leprakranke seien Kinder von Paaren, die die an “unpassenden Tagen” sexuell nicht abstinent geblieben waren (s. Sexualität) oder anderweitig in Unreinheit und schwere Sünde gefallen seien. Allgemein sagte man Leprakranken die Neigung zu übersteigerter sexueller Betätigung nach.

Schutzpatrone der Aussätzigen waren Ägidius, Genovefa und Radegunde.

Bereits das Konzil von Lyon von 583 schränkte die Bewegungsfreiheit der Aussätzigen ein: sie sollten nicht mehr von einer Ansiedlung in eine andere ziehen dürfen. Die Ausgrenzung (Sequestrierung) der Leprosen wurde dann seit dem 7. Jh. betrieben (643 Edikt “De Leprose” des Langobardenkönigs Rothari; 789 wird dieses von Karl d. Gr. erneuert: er befahl die Absonderung “… de leprosi, ut se non intermisceant alio populo”. Die einschneidensten Bestimmungen über den Umgang mit Leprösen wurden auf dem dritten Laterankonzil (1179) erlassen. Aussätzige mussten aus ihren Familien und Gemeinden ausgestoßen werden, sollten eigene Kirchen und Friedhöfe haben, verloren ihr Hab und Gut sowie die bürgerlichen Rechte; sie galten als lebende Tote (tamquam mortuus), ein Daseinszustand, in den sie durch ein kirchliches Totenzeremoniell geleitet wurden. Das “Aussätzigenrecht” gebot ihre Entfernung aus der nachbarlichen Gemeinschaft (als “leprosi in campo” [Feldsieche] hausten sie in Feldhütten außerhalb der Städte und Dörfer). Zur Furcht vor Aussätzigen trug der Aberglaube bei, diese würden durch ihren Blick das Wasser in Brunnen oder Quellen verderben. Lepröse mussten sich durch ein besonderes Gewand sowie durch Rassel, Klapper (“Lazarusklapper”) oder Glöckchen kenntlich machen, durften Gesunde nicht berühren und nur gegen die Windrichtung sprechen und allgemeinzugängliche Dinge nur mittels Stab oder Handschuh berühren. Gelegentlich war ihnen das Recht zum Betteln zugestanden; dabei mussten sie eine Gesichtsmaske tragen und ihre Sammelbüchse an einem langen Stab führen. Sie waren aus allen Ansiedlungen ausgesperrt, durften am Gottesdienst nur durch einen Schlitz in der Mauer (das sog. Hagioskop) teilnehmen. Bestenfalls konnten sie in gemeinsamen Wohnhäusern, Leprosorien, Zuflucht finden, wie sie vom Hochmittelalter an in vielen Städten entstanden.

Im 13. Jh. wurden Gesetze erlassen, kraft derer die Kirche Leprakranke nach positiver Befundung durch eine Beschaukommission von ihrem gesunden Ehepartner zu trennen hatte. Häufig folgte der Gesunde seinem leprösen Ehepartner in das Leprosorium nach und nahm dabei die Kinder mit. Im Leprosenhaus geborene Kinder verblieben bei ihren Müttern. Neugeborene waren im Mutterleib nicht infiziert worden, erkrankten jedoch zum großen Teil ebenfalls, sei es durch die Muttermilch oder körperliche Kontakte.

Gesunde suchten Dampfbäder zur Vorbeugung auf, an Lepra Erkrankte wurden verdächtigt, durch Bäder im Blut von Jungfrauen, unschuldigen Kindern oder Hunden Heilung zu suchen oder aber durch den Geschlechtsverkehr mit gesunden Jungfrauen. Hildegard v. Bingen empfiehlt gegen Lepra, welche auf Unmäßigkeit bei Essen und Trinken zurückzuführen ist, eine im Schwitzbad einzureibende Salbe aus Storchen- und Geierfett, vermischt mit Schwalbenkot, Schwefel und Klettenkraut. Gegen Aussatz durch sexuelle Unenthaltsamkeit verordnet sie ein Warmbad mit Kräuterzusätzen und möglichst viel Menstrualblut, zusätzlich eine Salbe aus Gänse- und Hühnerfett und etwas Hühnerkot. Bei Aussatz infolge von Zornmütigkeit soll man ein Säckchen mit von Pferdeblut durchtränkter Erde über dem Herzen tragen. Nach dem Vorbild arabischer Ärzte ließen auch viele christl. Ärzte des Mittelalter Lepröse vor einem Schwitzbad mit Quecksilbersalben einreiben; mit dem Schweiß und dem durch die Giftwirkung des Quecksilbers verursachten starken Speichelfluss sollte die materia peccans ausgetrieben werden. Nur wenige erahnten die Wirkungslosigkeit aller Heilungsversuche. Der Blutaberglaube (manifestiert in der Vergewaltigung junger Mädchen) und die Quecksilberkuren richteten mit Sicherheit viel Unheil an. Zu therapeutischen Maßnahmen der Volksmedizin gehörten das Einhüllen des Patienten in eine Schweinehaut (in welche die Krankheit übergehen sollte) und das Einreiben mit Hasengalle.

Die wunderbaren Heilungen, von denen vielfach berichtet wurde, dürften daraus zu erklären sein, dass Ärzte oder Leprosenschauer bei Hautkrankheiten wie Ekzemen oder Krätze auf Aussatz erkannt hatten und diese dann abgeklungen waren.

(s. Elephantiasis, Lepraschautexte, Leprosenschau, Lepraspalte s. Hagioskop, Ysop)

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