Mnemotechnik

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Mnemotechnik (v. grch. mneme = Gedächtnis; lat. ars memorativa = Gedächtniskunst). Für die öffentlichen Redner – besonders für die Juristen – der röm. Kaiserzeit war die Kunst, im Gedächtnis gespeicherte geistige “Notizen” jederzeit verfügbar zu haben und in die Rede einbeziehen zu können, von großer Bedeutung. So hat z.B. Quintilian (35 – 100) eine Lehre von der Technik der Gedächtniskunst entwickelt. (Er ließ u.a. seine Schüler das zu Memorierende murmeld vor sich hin sagen, “um die Erinnerung des Sagens und Hörens zu fördern”.) Im frühen Christentum wurde die ars memorativa als überflüssig vernachlässigt, war doch alles Wissenswerte in der Heiligen Schrift festgehalten, konnte dort jederzeit nachgelesen und der Illiteraten Gemeinde vermittelt werden. So blieb die Gedächtniskunst mehr als 500 Jahre vergessen; erst Karl d. Gr. suchte sie für seine Juristen wieder zu beleben. (In einem fiktiven Dialog fragt Karl: “Und was kannst du uns vom Gedächtnis, dem bedeutendsten Teil der Rhetorik sagen? Gibt es Regeln, wie man es erwerben oder vergrößern kann?” und Alkuin antwortet eher schlicht: “Wir haben keine Regeln außer diesen: Übung im Sprechen, Gewohnheit des Schreibens, eifriges Nachdenken und Vermeiden des Saufens …” Zit. bei Ivan Illich). – Der Leiter der Pariser Stiftsschule, Hugo von St. Victor (um 1100 – 1141), bemühte sich darum, seinen Schülern mit dem Lesenlernen auch ein Gedächtnistraining anzuerziehen (“De tribus”, “De arca Noe”). Eine seiner Techniken besteht in kommemorativem Flüstern oder Murmeln der gelesenen, zu erinnernden Texte. Eine andere in der Errichtung eines Geistigen Raumes (er nennt ihn Arche) im Herzen des Schülers, eines räumlich-zeitlichen Gefüges, in welches alle erlernten Fakten der Heilsgeschichte systematisch abgespeichert werden. Unerlässliche Eigenschaften waren dabei Selbstdisziplin und ständiges Training. – Albertus Magnus und sein Schüler Thomas von Aquin, beide um die Schulung des Gedächtnisses bemüht, rechneten die Mnemotechnik nicht der Rhetorik und damit den artes liberales zu, sondern ordneten sie der Kardinaltugend Prudentia (Klugheit, Weisheit, Vorsicht) bei; war das Erinnern früherer Erfahrungen doch Voraussetzung für die Vermeidung zukünftiger Sünden. – Am Ausgang des Mittelalter erschienen viele Leitfäden mit Regeln des Gedächtnistrainings wie z.B. die um 1430 verfasste “Kunst der gedächtnüßs” des Arztes Johann Hartlieb. Prediger halfen ihrer Fähigkeit, die Inhalte der Evangelien zu vergegenwärtigen, durch Bücher der “Ars memoranda” auf, sowie durch bildliche, mit Symbolen und Allegorien befrachtete Darstellungen (“Ars memoranda per figuras Evangelistarum”, einer Art anschaulicher “Bilderrätsel” zu Visualisierung komplizierter Sachverhalte).

Auf Techniken der Spätantike (Quintus Septimius Florens Tertullian, 2./3. Jh. u.Z., Caelius Sedulius, 5. Jh. u.Z.) gehen Lernhilfen der Memoria artificialis zurück, die in Rhytmisierung und Versierung der Lerntexte bestanden. “Was solche Leute in Prosa lernen, dem folgen sie eher unaufmerksam, weil sie es nicht sonderlich schätzen: was sie aber durch den Reiz der Verse versüßt finden, dem widemen sie sich … mit Begierde. …” (Sedulius, bei H. Wenzel).

Wenn auch nicht dem Gedächtnistraining so doch den Gedächtnisstützen zuzurechnen sind Gebetsschnüre wie der ® Rosenkranz, Jahrbücher (s. Annalen) oder Totengedenktage (s. memoria). – Beim freien Vortrag von Lieddichtungen, etwa des Nibelungenlieds, erleichterten dem Sänger Reim und Rhythmus das Einstudieren. – Im mittelalterliche Lehrbetrieb haben – teilweise auch gesungene – Memorial- oder Merkverse als Lerntechnik eine Rolle gespielt.

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