Räderuhr

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Lexikon des Mittealters Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen
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Räderuhr . Aus dem Bestreben, unabhängig von Gestirnsbeobachtungen kürzere Zeiteinheiten (Stunden) messen zu können, wurden verschiedene mechanische Zeitmesser erfunden. Als einer der ersten gilt die Quecksilberuhr (um 1270), die für König Alfons von Kastilien gebaut worden ist. Das Zuggewicht wurde hier noch kontinuierlich gebremmst (gehemmt). Zwischen 1000 und 1300 bemühte man sich um eine Zerhackung des Zeitablaufs, bis endlich irgendwo in Europa – wahrscheinlich in klösterlichem Bereich – das Prinzip der Räderuhr mit Waaghemmung auftauchte. (Dante verglich um 1320 in seiner Göttlichen Kommödie einen paradiesischen Reigentanz mit dem Räderspiel einer Uhr). Erste Exemplare dieser Uhren waren mit einiger Sicherheit aus Eisen, hatten ein Läutwerk aber wohl weder Zifferblatt noch Zeiger, und dienten als Weckinstrumente der pünktlichen Abhaltung liturgischer Gebete (horologium pulsatile, horacudium, clocke, zytglocke, urglocke) und als Wecker für den Türmer („Turmwächteruhr“). Später kamen vertikales, feststehendes Zifferblatt und Stundenzeiger hinzu. (Der Minutenzeiger sollte sich erst im 17. Jh. durchsetzen.) Bei manchen Zimmeruhren des 14./15. Jh. stand der Stundenzeiger fest und das Zifferblatt drehte sich. – Die Rechtsläufigkeit des Zeigers wurde von der Sonnenuhr übernommen, bei der der zeitweisende Schatten – auf der nördlichen Hemisphäre – „rechtsherum“ wandert.

Die Antriebsenergie stammte auch bei der Räderuhr von der Masse (der potentiellen Energie) des Zuggewichts, das am Ende einer Schnur hing, die ihrerseits an der Antriebswelle befestigt und aufgespult wurde. Der Zug an der Schnur ergab ein konstantes Drehmoment, das durch den Eingriff der Balkenunruh (Waag) „gequantelt“ wurde. Ohne die periodische Hemmung könnte das Räderwerk frei ablaufen, würde sich die Schnur rasch abspulen. (Am Ende der Antriebswelle saß ein Zackenrad [Kron-, Steig-, Spindelrad]. Senkrecht zur Wellenachse stand, den Zacken des Steigrades zugewandt, die Achse (Spindel) der Waag; diese war an einem Faden aufgehängt, und pendelte durch dessen Verdrillung hin und her. An der Spindel waren, auf der Höhe des höchsten und tiefsten Punktes des Zackenkranzes, je ein Spindellappen so angebracht, dass sie abwechselnd in den obersten und untersten Zacken des Zackenrades eingreifen konnten. Die Lappen waren [in der Draufsicht] der Wellenachse gegenüber leicht nach rechts bzw. links versetzt. Die Zacken des Steigrades drückten nun beim Umlauf abwechselnd den oberen, dann den unteren Lappen in entgegengesetzter Richtung weg, versetzte dadurch die Spindel in Hin- und Herbewegung und rückte dabei jeweils um einen Zacken weiter. Der Widerstand, den die Lappen der Drehung des Steigrades bereiteten, stammte aus der Trägheit des Waagbalkens (foliot, frouwen gemuete), welcher der Spindel wie der waagrechte Balken eines T aufsaß, und der auf seinen Armen bewegliche Gewichte trug. Je weiter die Gewichte zum Balkenende hin verlagert wurden, desto langsamer wurden seine Schwingungen und umgekehrt. (Als Weiterentwicklung der Waag kam im 14. Jh. die Radunruh auf, bei welcher der Spindel anstatt eines Querbalkens ein Reif aufsitzt, der mit zwei oder vier Speichen an deren oberen Ende befestigt ist. Mit der Radunruh wurde höhere Ganggenauigkeit erreicht.) – Das deutlich hörbare periodische Geräusch, welches im Uhrwerk entstand, gemahnte an tappende Schritte, mit welchen die Zeit „vergeht“.

Das Gewicht des Antriebs bestand aus Steinen, Eisen oder Blei, auch aus sand- oder bleigefüllten Säckchen und hing an einem Seil oder an einer Kette. Bei ausreichend großer Fallhöhe des Gewichts (Turmuhren) war eine lange Laufdauer gewährleistet. Hausuhren mussten nach jeweils 12 Stunden aufgezogen werden, praktischerweise morgens und abends. Die Räderuhren waren anfänglich von geringer Ganggenauigkeit, sie mussten ständig (durch Versetzen der Gewichte am Balken der Waag) nachgerichtet und eingestellt werden. Störfaktoren waren u.a. Qualitätsmängel am Werk, nachlässige Wartung und Temperaturschwankungen. Der Anwendungsbereich der Gewichts-Räderuhren wurde dadurch eingeengt, dass sie auf einen festen Standpunkt angewiesen waren.

Als älteste Groß-Räderuhren gelten die der Kathedrale von Exeter (1284), der St.-Pauls-Kathedrale von London (1286) sowie die der Kathedralen von Canterbury und von Sens (beide 1292). Im 14./15. Jh. fanden die in Türmen aufgestellten Räderuhren auch im übrigen Europa schnelle Verbreitung. Als Standorte früher Turmuhren seien angeführt: der Rathausturm zu Brieg (Schlaguhr, 1316), die St. Gotthards-Kirche in Mailand (1335), die Konstanzer Stefanskirche (1339), der Turm des Palazzo del Capitano in Padua (Schlaguhr mit 24-Stunden-Ziffernblatt, erbaut 1344 von dem Arzt und Astronomen Jacopo di Dondi), das Straßburger Münster (1352 -54, astronomische „Dreikönigsuhr“, seit 1372 mit Schlagglocke), das Nürnberger Männleinlaufen an der Frauenkirche (1356 -1361), der Regensburger Rathausturm (Schlaguhr, 1359), der Perlachturm in Augsburg (Schlaguhr, 1364), das Basler Münster (1365), die Zürcher Peterskirche (1368), die Stralsunder Nikolai-Kirche (astronom. Uhr, fertiggestellt 1394), der Dom zu Magdeburg (1396), die Lübecker Marienkirche (astronom. Uhr mit Schlagwerk, 1400), der Dom zu Münster (astronom. Uhr mit Schlagwerk, 1408), die Danziger Marienkirche und das Rathaus von Jena (beide astronom. Uhren mit Schlagwerk, je von 1470). Bei der Erstellung von astronom. Uhren vereinigte sich das handwerkliche und künstlerische Geschick der Uhrenschmiede mit dem theoret. Wissen der Astronomen (s. Johannis de Dondi).

Beispiele für Wand-Räderuhren aus dem 14./15. Jh. finden sich im Mainfränkischen Museum Würzburg und im Germanischen Museum Nürnberg. (Die Räderuhr aus dem German. Mus. stammt vom südl. Sebaldusturm, wo sie dem Turmwächter die Zeit zum Schlagen der großen Glocke anzeigte. Das Zifferblatt ist am Umfang mit 16 Nieten besetzt, entsprechend den 16 Stunden [gezählt von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang] der „großen [Nürnberger] Uhr“.)

Uhrgehäuse , welche die immer empfindlicher werdenden Werke vor Staub und mechanischer Beschädigung schützten, setzten sich nur zögernd durch. Noch im 15. Jh. kamen Tischstanduhren mit got. Dekor auf. Bodenstanduhren (Säulenuhren, Kastenuhren) kamen erst vom 16. Jh. an in Gebrauch; sie sollen sich aus den Kästen entwickelt haben, mit denen man bei Wanduhren die frei hängenden Gewichte vor dem Spieltrieb von Kindern und Haustieren schützte. Insgesamt traten Uhren in Privatbesitz erst ab der Mitte des 16. Jh. in nennenswerter Zahl auf.

In der ersten Hälfte des 15. Jh. nutzte man, wahrscheinlich angeregt durch die Schloss- und Waffentechnik, die Zugfeder als Uhrenantrieb, wodurch der Bau kleinerer und von einem festen Standpunkt unabhängiger Uhren ermöglicht wurde. Der Federantrieb bestand aus einem Stahlband, dessen eines Ende am Federhaus, dessen anderes an dem im Federhaus drehbar gelagerten Federkern verankert war. Beim Aufziehen wurde die Feder durch Drehen des Federkerns auf diesem spiralig aufgewunden, beim Ablauf gab die Feder die gespeicherte Energie an das Uhrwerk ab. Der unschätzbare Vorteil der Federuhr war, dass sie auch auf Schiffen verwendet werden konnte, und dass sie bald schon so klein gebaut wurde, dass man sie an einem Trageband oder in der Hosentasche mit sich führen konnte („Sackuhr“). (Das Pendel als Gangregler von Uhren sollte erst Mitte des 17. Jh. eingeführt werden.)

(s. Stundenzählung, Uhr, Uhrmacher, Turmuhren)

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