Reliquiendiebstahl

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Reliquiendiebstahl. Nach dem Synodalbeschluss von Karthago (398), demzufolge nur noch Altäre errichtet werden durften, die über echte Reliquien verfügten, setzte eine ungeheure Nachfrage nach Überresten von Heiligen ein – besonders in den westl. und nordwestl. Ländern Europas, die kaum über eigene Asketen, Apostel oder Märtyrer verfügten. Da die gestiegene Nachfrage die Preise für Heiligengebein hatte drastisch steigen lassen, ging man dazu über, sich die begehrten Heiltümer heimlich oder mit offenbarer Gewalt anzueignen. Die Amtskirche stand dieser Praxis eher mit wohlwollender Neutralität gegenüber und betrachtete diese Art des Erwerbs als “sacra rapina”, also als löblichen oder gottgefälligen Raub oder als “pium latrocinium”, als frommen Raub – und eine in frommem Wunsch begangene Tat konnte nicht sündhaft oder kriminell sein.

Als erster Reliquienraub gilt derjenige von vor 400, bei welchem aus dem zur Verehrung zur Schau gestellten Hl. Kreuz trotz aller Vorsichtsmaßregeln ein Splitter abgebissen wurde. Cäsarius von Heisterbach berichtet, dass 1231 von dem aufgebahrten Leichnam der – bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrten – Elisabeth von Thüringen Teile der Leichentücher, Haare, Nägel, Ohren, sogar Brustwarzen abgeschnitten worden seien. – Bischof Otwin von Hildesheim brach in Pavia zwei Altäre auf und raubte daraus die Gebeine der heiligen Speciosa und Epiphanius. – Bischof Anno von Köln entwendete auf dem Rückweg von Rom aus dem Kloster Saint Maurice d´Agaune die Reliquien der Heiligen Innocentius und Vitalis. – Der Compostelaner Bischof Gelmirez stahl 1102 aus der Kathedrale von Braga deren wichtigste Reliquien: die des hl. Fructuosus und der Märtyrer Cucufaz, Silvester und Susanna. Zweck des Beutezugs war die Aufwertung Compostelas und die Schwächung Bragas. – Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln und Reichskanzler, entführte aus dem eroberten Mailand die Gebeine der Heiligen Drei Könige und überführte sie nach Köln (1162). – Der leidenschaftliche Reliquiensammler Kaiser Karl IV. entwendete aus dem Augsburger Kloster St. Ulrich und Afra die Ulrichsreliquien, aus St. Gallen einen Teil des Hauptes des hl. Otmar, aus dem Trierer Domschatz ein Stück vom Kreuzesholz und aus Aquileja einen Teil des angeblich vom Evangelisten selbst geschriebenen Marcusevangeliums. Während sich der wundergläubige Kaiser selbst bedienen konnte, überließen Bischöfe, Äbte, gewöhnliche Kleriker oder Bürgerschaften die Beschaffung zumeist gedungenen Leuten.

Nicht immer blieb Reliquiendiebstahl ungesühnt, denn eben der Fähigkeit Heilwunder zu bewirken, hatten Reliquien auch die Macht zu strafen. So berichtet Gregor von Tours (6. Jh.), dass ein gewisser Britto, der den goldenen Gürtel des Märtyrers St. Nazarius aus einer Kirche gestohlen hatte, bei der überstürzten Flucht einen tödlichen Schädelbruch erlitt.

(s. Nikolaus von Myra, Reliquien, Wunder)

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