Tiere und Aberglauben

Cinque Terre Forest
Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
Erkunde das Mittelalter: Über 3.979 Seiten und mehr als 6.400 Einträge bieten dir einen tiefen Einblick in diese Ära. Vom Ablass bis zur Zunftordnung - dieses eBook ist dein Guide durch die Geschichte, Gesellschaft und Kultur Europas von 500 bis 1500 n. Chr. Entdecke in „Leben im Schatten der Zinnen“ auf 122 Seiten die mittelalterliche Burgenwelt: Architektur, Alltag und ihre Rolle im Mittelalter kompakt erklärt.

Tiere und Aberglauben. Äußerst vielfältig waren die abergläubischen Vorstellungen der mittelalterliche Gesellschaft, vornehmlich deren bäuerlichen Teils, im Zusammenhang mit Haus- und Wildtieren: Von Gefährdetsein, Erkrankung und Heilung der Tiere, von der ihnen innewohnenden magischen Kraft und prophetischen Bedeutung. Von günstigen und ungünstigen Zeitpunkten. Von Schutzheiligen und Schadenszauber. Vom Nutzen von Tieren oder Tierteilen für Gesundheit und Befindlichkeit des Menschen (Animalia s. Arzneimittel). Von Tiersprachen und von Dämonen und Geistern in Tiergestalt. Nachfolgend einige wenige Beispiele:

Bei Seuchengefahr trieb man das Vieh durch ein Notfeuer.

Gegen angehexte Milchlosigkeit der Kühe nagelte man einen Kreuzdorn-Zweig über die Stalltür, der in der Walpurgisnacht geschnitten worden war. Am Dreikönigstag schrieb man mit geweihter Kreide die drei Buchstaben C + M + B über die Stalltüre.

Tierkrankheiten verschiedener Art heilte man durch Osterwasser oder Hostien (s. Sakramentenzauber).

Turteltauben wurden in einem Verschlag unter der (Ofen-)Bank gehalten, damit sie die Gicht auf sich zögen.

Ein Kreuzschnabel im Stubenkäfig verhindert Blitzschlag und Krankheiten.

Hörte man den Kuckuck im Frühjahr erstmals rufen, so zählte man die Anzahl der Rufe: dieser entsprach die Zahl der Jahre, die man noch zu leben hatte.

Am Hl. Abend bekommen die Haustiere eine Leckermahlzeit. Während der Christmette wird das Stallvieh aufgetrieben. Beim “Auferstehen der Glocken” am Ostersamstag schüttelte man die Bienenstöcke, damit sie reiche Ernte brachten.

An den Festtagen bestimmter Heiliger wurde um die Gesundheit der Tiere gebetet und Opfergaben dargebracht: für das Stallvieh rief man am 26. Juli St. Jakob an, am 21. Oktober St. Wendel und am 11. November St. Martin; seit dem Spätmittelalter galt der Leonharditag (6. Januar) als Bitttag für die Pferde.

Eine lebendig über die Haustüre genagelte Fledermaus brachte Glück.

Eine aus Kröten und Sahne erkochte Hexensalbe ließ einen die Sprache der Tiere verstehen.

Durch einen aus Wolfsfell oder der Haut eines Gehenkten hergestellten Gürtel konnte man sich in einen Werwolf verwandeln.

Tiere spielen in der mittelalterliche Vorstellungswelt eine große Rolle, sei es dass ihnen in der Tradition antiker Bestiarien bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, dass ihnen im Aberglauben dämonische Kräfte zugetraut werden, dass Ihnen symbolische Bedeutungen zugemessen werden oder dass gewisse ihrer Körperteile oder Ausscheidungen medizinische Wirkung haben sollen.

Nachfolgend einige Beispiele aus der Masse tierlicher Bezüge im mittelalterliche Volksglauben:

Die ®Schlange (mhd, slange, viper; lat. serpens), so auffällig in ihrer Gestalt und Fortbewegungsart wie in ihren Vermögen zu töten und durch den Blick zu bannen (lat. faszinare), hat schon seit je die Phantasie angeregt. Weil sie sich im Laufe ihres Lebens mehrfach häutet und so jedesmal verjüngt, galt sie als Sinnbild der Unsterblichkeit und ewigen Jugend; in vielen Arzneizubereitungen findet Schlangenfleisch Verwendung (s. Theriak); der Verzehr von Schlangenfleisch verleiht profundes Wissen, bringt Glück und macht unsichtbar, Schlangenfett macht unverwundbar; unter der Schwelle der Haustür wohnte die glückbringende Hausschlange die man nicht töten durfte, wollte man nicht Unglück über das Anwesen bringen. – Wegen ihrer Rolle als Verführerin im Paradies galt sie als Instrument des Teufels, gar als dessen Verkörperung und Symbol alles Gottverhassten, Heimtückischen und Verräterischen. Gegen Schädigungen durch Schlangen richten sich mittellateinische und volkssprachliche Schlangensegen, die ihre Wirkkraft aus christlichen Glaubensvorstellungen ziehen.

Der Hahn (mhd. hane; lat gallus). Er kündigt durch seinen Schrei den Tag an und vertreibt die nachtfahrenden Hexen, Gespenster und Dämonen. Gilt einerseits als Wächter und Wetterkünder und bekam – in Metall geschmiedet – auf Kirchturmspitzen einen überragenden Platz, ließ aber auch den Satan mit Requisiten wie Hahnenkrallen und Hahnenfedern auftreten und trat gar selbst als Teufelstier auf. – Weiße Hähne galten als Glücksbringer, schützen Haus und Stall, rote symbolisierten das Feuer (“jemandem den Roten Hahn aufs Dach setzen”), schwarze dienten Hexen als Reittiere und Dämonen als äußere Gestalt. – Auffälliges Krähen des Hahnes hatte meist negative Bedeutung, es kündete Regenwetter an, Feuer und Tod. – Da der Hahn als äußerst geschlechtsaktives Tier galt, waren Hahnenfedern, Hahnenorgane und -fett als Aphrodisiaca begehrte Zaubermittel. Wegen seiner Kampfeslust musste er in der Tierkampfarena auftreten und bekam dabei oft eiserne Sporen angeschnallt. – In der Volksmedizin und in der Zauberei spielten Teile des Hahnenkörpers eine Rolle; so erleichterte Blut aus dem Hahnenkamm Kleinkindern das Zahnen oder band ein verliebter Bursche sein Mädchen mit einem Gericht an sich, das Hahnenzunge enthielt.

Der Hase (mhd. hase, has; lat. lepus). Wegen seiner saisonal auftretenden Geschlechtsaktivität kam dem Hasen Bedeutung als Träger erotischer Kräfte zu. Hasenfleisch galt als luststimulierende Speise, daher wurde in Klöstern anstatt Hasenbratens ein “Hasengebäck” gereicht. Hasenfleisch galt als schönheits- und fruchtbarkeitsfördernd, der Hasenschwanz war ein begehrtes Mittel beim Liebeszauber. Auch das Ostereierbrauchtum hat seine Wurzel im Glauben an die erotische Potenz des Tieres. – Hasenpfoten mit sich zu tragen galt als sicheres Schutzmittel für Leib und Leben und garantiert für Erfolg beim Kartenspiel. – Hexen verwandelten sich häufig in Hasen, indem sie sich mit Hasenfett einrieben. Hexen-Hasen waren besonders groß, richteten sich besonders häufig auf den Hinterläufen auf und waren der Sprache mächtig. Wunden, die ein Jäger einem Hexen-Hasen beibringt, erscheinen nachher an seinem eigenen Körper, können aber auch am Leib der zur Frau zurückverwandelten Hasenhexe erscheinen. Gegen die Zauberkünste der Hasen-Hexe helfen Schüsse mit geweihten oder silbernen Kugeln. – Der Angang (die Begegnung) mit einem Hasen galt als gleich unheilbringend wie der mit einer Hexe (oder einem alten Weib). Als Abwehrmittel galt dreimaliges Ausspucken in Richtung des Tieres oder dreimaliges Umdrehen. – In der Volksmedizin galten Hasenpräparate (aus Fleisch, Organen, Blut, Fett oder Haaren), innerlich oder äußerlich angewandt, als wirksame Heilmittel. Nur ein Beispiel von vielen: Präparate aus Hasenherz waren wirksam gegen Blutungen, erleichterte die Geburt, half gegen Gebärmuttererkrankungen , gegen Fallsucht und Fieber.

Fledermaus (mhd. vleder-mus, zu vlederen = flattern, also etwa “flatternd fliegende Maus”). Das einzige fliegende Säugetier, im Volksglauben und von mittelalterliche Wissenschaftlern (Isidor v. Sevilla, Konrad v. Megenberg) als Mittelding zwischen Vogel und Maus betrachtet. In der Bibel wird sie den Vögeln zugezählt (Moses), gilt als unrein und wird mit dem Götzenkult in Zusammenhang gebracht. Das christliche Mittelalter zählt das Tier zu den Hexen-, Dämonen- und Teufelswesen. Der Satan wird häufig mit Fledermausflügeln dargestellt. Wegen der Fähigkeit, sich beim nächtlichen Flug zurechtzufinden, wurde der Fledermaus ein scharfer Gesichtssinn zugeschrieben. Folgerichtig empfiehlt Albertus Magnus Gesichtswaschungen mit Fledermausblut, um speziell bei Dunkelheit besser sehen zu können und um allgemein scharfsichtiger zu werden. Die Heilkunde kannte viele Mittel mit Fledermausteilen (z.B. Herz, Hirn, Leber, Blut, Knochen) und verwandte sie gegen eine Vielzahl von Leiden (u.a. gegen Zahnweh, Rheumatismus, Augenleiden, Warzen und störende Behaarung [Megenberg: “Ir pluot macht harploz, wa es an die gehaerten haut kumt”]). Einem alten Glauben zufolge verfangen sich Fledermäuse leicht in langem Frauenhaar und verfilze sich darin – eine Gefahr, der man durch das Tragen eines Kopftuches begegnen konnte. Um das Vieh vor Schadenszauber durch Hexen und Dämonen zu schützen, nagelte man eine Fledermaus an die Stalltür. Als Wetterprophet zeigt das Tier gutes Wetter an wenn es abends ausfliegt und Schlechtwetter, wenn sie nicht am Himmel erscheint.

(s. Amsel, Angang, Bestiarium, Hexentiere, Maus, Physiologus, Tierdichtung, Tiersegen s. Beschwörungsformel, Tiersymbolik)

Bestseller Nr. 1
Bestseller Nr. 2
Bestseller Nr. 3
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Adel bis Zunft, Ein Lexikon des Mittelalters
Volkert, Wilhelm (Autor)
4,41 EUR
Bestseller Nr. 5
Nach oben scrollen