Tierhaltung

Cinque Terre Forest
Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Tierhaltung. Die Haltung von Nutzvieh (mhd. vihe; lat. pecus, peculium, pecunia [Vieh]; iumentum [Zugvieh]) war nach dem Ackerbau der bedeutendste Zweig der Landwirtschaft, in manchen Gegenden dominierte sie sogar aufgrund der natürlichen Gegebenheiten, wie in den Marschländern des Nordens oder auf den Gebirgsalmen des Südens. Gehalten wurden Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Geflügel, Kaninchen, Honigbienen (s. Imkerei) und Seidenspinner (s. Seide), dazu Pferde (als Zug- und Reittiere), Hunde, Katzen u.a.m. Verwendungsart und Nutzwert der Tiere waren äußerst vielseitig: sie dienten zur Lasten- und Personenbeförderung, als Zugtiere vor Pflug und Wagen, produzierten Nahrungsmittel wie Milch, Butter, Käse, Fett, Fleisch, Eier und Honig; aus ihren Fellen und Häuten entstanden Leder, Pelze und Pergament; sie lieferten Wolle, Haare, Borsten, Horn, Unschlitt, Wachs, Eier sowie Daunen- und Schreibfedern; ihr Kot und Urin düngten die Felder; Hunde dienten als Wächter, Hüter, Jäger und Schoßtiere sowie als Zug-, Trag- und Treideltiere, Katzen als Mäuse- und Rattenvertilger, Greifvögel wurden zur Beizjagd abgerichtet, in Käfigen gehaltene Singvögel erhellten mit ihrem Gezwitscher das Gemüt; in der kalten Jahreszeit war überdies die Wärme der aufgestallten Tiere im Haus willkommen.

Die Haltung größerer Viehstapel wurde erst vom 12./13. Jh. an ermöglicht, als der vermehrte Einsatz einer optimierten Form der ® Sense eine intensive Gras- und Heuwerbung möglich machte.

Ergrabene oder in Abfallgruben bzw. Kloaken gefundene Tierknochen geben Hinweise auf Körpergröße und -gestalt der Tiere, auf die in den jeweiligen Gebieten gehaltenen Arten bzw. auf die Verzehrgewohnheiten der Bevölkerung. Den Landschaftsformen entsprechend wurden in waldreichen Gegenden vornehmlich Schweine gehalten, in Berg- und Heideregionen überwogen Schafe und Ziegen, in graswüchsigen Gegenden eher Rinder.

Rinder und Pferde wurden sommers auf Weiden oder in Gattern gehalten, den Winter verbrachten sie bei meist kärglicher Stroh- und Heufütterung im Stall (s. Streu). Größerer Aufwand wurde für die höfische Pferdehaltung betrieben (s. Marstall). Schweine wurden in die ausgedehnten Eichen- und Buchenwälder getrieben und blieben dort oft bis zur Schlachtzeit im November. Wie man anhand von Knochenfunden nachweisen konnte, wurden Schweine häufig mittels einer Seilschlinge um einen Hinterlauf – oberhalb des Sprunggelenks – angepflockt (“getüdert”). Schafe und Ziegen konnten auf mageren, anderweitig nicht nutzbaren Böden oder Brachfeldern gehütet werden.

Von erheblicher Bedeutung war die städt. Tierhaltung, durch welche die Städte bei der Fleischerzeugung beinahe Autarkie erlangten. Die Tiere wurden mit Sonnenaufgang aus der Stadt ausgetrieben, wobei eine feste Reihenfolge eingehalten wurde: zuerst kam das Rindvieh, danach der Gemeindehirt mit den Schafen, Ziegen und Schweinen, zuletzt kamen die Metzger mit ihrem Vieh. (Schweine wurden von den meisten Einwohnern gehalten, vornehmlich von Bäckern und Müllern, weil diesen Kleie zur Mast zur Verfügung stand.) Beim abendlichen Eintrieb eine Stunde vor Sonnenuntergang war die Reihenfolge umgekehrt. Die Anzahl der gehaltenen Tiere war beschränkt; nach einer Leipziger Verordnung von 1393 durften Bäcker höchstens 12 Schweine halten. Zur Reinhaltung der Straßen verfügte eine Ratssatzung in Frankfurt/M. (1421), dass Schweine im Haus oder im Hof zu halten seien und nicht frei herumlaufen dürften.

Teichwirtschaft wurde im Mittelalter überwiegend von Mönchen betrieben, die sie auch eingeführt hatten. Karpfen und karpfenartige Fische wurden – nicht nur für die Fastenzeit – als schmackhafter Fleischersatz angeboten.

Jagdbares Wild (Rot- und Damwild, Kaninchen, Fasanen u.a.m.) wurde in Gehegen gehalten, damit hohe Herren jederzeit ihrer Jagdlust frönen konnten. So unterhielt schon Karl d. Gr. bei seiner Pfalz zu Aachen einen großen eingehegten Tierpark, den Brühl, der späteren Fürsten als Vorbild diente. Hier jagte er in großem Stil mit seiner Hofgesellschaft und mit hochgestellten Gästen. (Die “Gesta Karoli Magni Imperatoris” des Notker von St. Gallen berichtet von einer Jagd Karls mit einem persischen Gesandten.) Kaiser Friedrich I. Barbarossa ließ im 12. Jh. nahe seiner Kaiserslauterner Pfalz einen großen Wildpark für Hirsche und Rehe anlegen. Ein ideales Wildgehege beschreibt der Dichter Hartmann von der Aue in seinem “Erec” (um 1180): der mit einer hohen Steinmauer umhegte Wildpark ist um einen See herum angelegt und durch weitere Mauern in Einzelgehege für die verschiedenen Tierarten unterteilt.

An dieser Stelle sei an die mittelalterliche Tiergärten erinnert, in denen zur Befriedigung menschlicher Neugier und Wundersucht exotisches und einheimisches Getier zur Schau gestellt wurde (darunter Löwen, Leoparden, Meerkatzen, Papageien und Affen, sowie Pfauen, Tauben, Reiher, Falken, Bären oder Edelhirsche; im Tierzwinger des Klosters St. Gallen fanden sich Bären Dachse, Steinböcke, Murmeltiere, Reiher und Silberfasane). Die Faszination durch das Tier – besonders durch das seltene und fremdartige – brachte zudem den Großen der Zeit Prestige ein, Tiere waren hochgeschätzte Gastgeschenke, Zeichen diplomatischer Höflichkeit. So hatte Karl d. Gr. von Harun ar Raschid einen Elefanten als Geschenk bekommen; Ludwig der Fromme unterhielt eine Menagerie am Aachener Hof; Friedrich II. hat sich mit exotischen Getier umgeben, darunter Elefanten und Affen. Überdies hielten Adelige jagdbares Getier (Hirsche, Rehe, Wildrinder, Bären, Wildschweine) in Gattern, um stets lohnende Objekte für den Jagdsport zur Verfügung zu haben.

Vom Faszinosum Tier profitierten fahrende Schausteller mit ihren Tanzbären, Affen oder dressierten Hunden. Um die Sensationsgier des Publikums zu befriedigen, halfen gewitzte Schausteller auch einmal der Natur nach; so konnte man auf dem Nürnberger Heumarkt 1496 einen grün geschuppten dreiköpfigen Drachen namens Hydra (“hieß idra”) bewundern.

Die emotionale Einstellung der Halter zu ihren Tieren war abhängig von der sozialen Stellung. Die Landbevölkerung hatte Tieren gegenüber ein überwiegend unsentimentales Verhältnis. Mit liebevoller Zuneigung ist am ehesten dort zu rechnen, wo Tiere als Luxus- oder Statusgeschöpfe gehalten wurden, etwa als Schoßhündchen, kostbare Zucht- und Reitpferde, Jagdhunde, Beiz- oder Singvögel.

(s. Dressur, Elefant, Schlachttiere, Stall, Tierschutz, Waldweide)

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