Trunkenheit

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Trunkenheit (mhd. trunkenheit, vullheit; lat. ebrietas, gula; Trunksucht = mhd. trunkenmeil, lat. vinolentia, ebriositas; Trunkenbold = mhd. trunkenboze, -slunt, trinkaere, süffer, vüller, wingite, -luoderaere, -slunt, lat. potator, homo ebriosus). Zwar hatte man sich seit jeher mit alkoholischen Getränken berauscht, doch erst im Spätmittelalter wurde Trunksucht zu einem gesellschaftlichen Problem. Bier und Wein wurden reichlich und meist zu erschwinglichen Preisen angeboten, die Zahl der Trinkstuben und Wirtshäuser stieg und mit dem Angebot die Nachfrage. Neben dem durch Tradition und Sitte reglementierten Trinken (s. Trinksitten) kam es zu ausschweifenden Zechereien, nicht zuletzt, weil Taglöhner und Leibeigene ihr Entgelt teilweise in Form von Bier bekamen und weil Trinkgelage zu einem Teil der Geselligkeit der jungen Leute – vor allem der Scholaren und Gesellen – geworden war. Die Folgen exzessiver Trinkereien sind gesteigerte Aggressivität einerseits und bis zur Sinnlosigkeit verminderte Reaktionsfähigkeit andererseits; Trunkene finden sich daher sowohl in der Rolle des Gewalttäters wie der des Opfers. Ruhestörung, Sachbeschädigungen, Tätlichkeiten bis hin zum Totschlag, Diebstahl, Belästigungen – besonders von Frauen und Mädchen – haben die Obrigkeiten seit dem 13./14. Jh. herausgefordert, Ordnungsmaßnahmen zu ergreifen. Diese bestanden u.a. in Beschränkungen der Öffnungs- und Schankzeiten, in deren akustischer Ankündigung (“Weinglocke”), in der Forderung, von der Trinkstube auf kürzestem Weg nach Hause zu gehen sowie in Strafbestimmungen für Trunkenheitsdelikte (Prangerstehen, Umherführen mit angehängter “Schandflasche”, Geldbuße, Turmhaft bis zur Ausnüchterung oder längere Inhaftierung bei Wasser und Brot). Übermäßiger Alkoholgenuss wurde nicht strafmildernd bewertet (“trunken gestohlen, nüchtern gehenkt”).

Der Moraltheologie galt Trunksucht als ein Relikt aus heidnischer Zeit, das auszumerzen war. Der hl. Benedikt konstatiert: “Nichts ist dem Christen so fremd wie der Rausch und die Trunkenheit”. In den Bußbüchern wird das Laster vielfach behandelt und mit schwerer Buße belegt – “Es werden sogar Priester erwähnt, denen die Zunge den Dienst versagte , sodass sie die Gebete lallten oder infolge der Betrunkenheit den Gottesdienst überhaupt nicht zu vollziehen vermochten”. (Zit. bei A. J. Gurjewitsch) Trunkenheit bei Mönchen, Weltgeistlichen und Bischöfen wurde strenger bestraft als bei Laien, bis hin zum Verlust ihres geistlichen Standes. Das Frankfurter Konzil von 794 untersagte Priestern, Diakonen und Mönchen den Tavernenbesuch “ad bibendum”. Weitaus seltener waren kirchliche Trunkenheits- und Tavernenverbote für Laien; Generelles Trunkenheitsverbot für alle Geistlichen hatte schon seit Konzilien der Spätantike bestanden und wurde immer wieder eingeschärft; entsprechende Artikel fanden sich zwar in den Bußbüchern, ihre Wirksamkeit ist eher zu bezweifeln.

Zur naturwissenschaftlichen Theorie der Trunkenheit sei Hildegardis Bingensis zitiert (“Causae et Curae”): “Wenn aber ein Mensch zuviel und ohne Maß Wein trinkt oder sonst ein Getränk, durch das er betrunken werden kann, so wird sein ganzes Blut verflüssigt und fließt in seinen Adern ohne Ordnung hierhin und dahin, so dass auch der gesamte Sinn und Verstand eines solchen Menschen in Unordnung gebracht werden …”). Über leichte und schwere, vorübergehende oder chronische Wirkungen der violentia vini, die schon Plinius d. Ä. beschrieben hatte, finden sich vereinzelte aber treffende Schilderungen in der mittelalterliche Literatur. Was die Trinkfestigkeit der Frauen anbetrifft, so glaubte man gemäß der antiken Säftelehre, dass, da der Frauenkörper feucht und kalt sei, der hitzige Wein sich im weiblichen Organismus schnell verdünne, kalt werde und seine Wirkung verlöre. Außerdem könne er durch die natürlichen Körperöffnungen der Frau leichter verdunsten. (In Wirklichkeit ist, wie wir heute wissen, die Alkoholwirkung bei Frauen drastischer als bei Männern. Ma. Zeitgenossen sahen die wissenschaftliche These von der größeren weiblichen Alkoholtoleranz durch die Beobachtung bestätigt, dass Frauen weniger oft als ebriosae in Erscheinung traten; dieser Umstand dürfte jedoch dadurch begründet gewesen sein, dass weibliche Trunksucht – anders als die der Männer – ausnahmslos auf Ablehnung und gesellschaftliche Ächtung stieß und somit sozialer Unterdrückung verfiel.)

(s. Alkohol, Bier, Branntwein, Getränke, Taverne, Trinkstube, Wein)

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