Lexikon des Mittealters | Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen |
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Wald (mhd. walt). Vom Frühmittelalter an ging der geschlossene Urwald, der – neben ausgedehnten Sumpf- und Moorgebieten – zu Beginn der christlichen Zeitrechnung 95 % der Fläche des späteren Deutschland bedeckt hatte, durch Rodung stark zurück; bis zum 13. Jh. war überdies zur Bau-, Werk-, Gruben- und Brennholzgewinnung, für die Köhlerei sowie zur Waldweide, Zeidlerei, Streunutzung, Harzgewinnung und Überhege des Wildes derart exzessiver Raubbau betrieben worden, dass sich nur 20 % der ursprünglichen Waldfläche erhalten hatten und die ersten Rodungsverbote und Nutzungsbeschränkungen erlassen werden mussten (s. Waldschutzbestimmungen). Im Spätmittelalter war der Waldbestand geringer als um die zweite Jahrtausendwende. “Zur erwachenden urbanen Zivilisation gehört das Bewusstsein vom Verlust der Wildnis” (E. Schubert).
Die siedlungsnahen Waldränder (s. Markwald) waren bäuerlicher Nutzung überlassen in Form von Holzlese, Entnahme von Stöcken für Flechtzäune und von Moos zum Abdichten von Fugen, Niederjagd, Waldweide, Eichelmast, Wildobst- und Pilzlese, Honigernte, Streugewinnung. Für die Bevorratung von Winterfutter für Haustiere wurden zudem Blätter von den Zweigen abgestreift (“lauben”) oder dünne Zweige abgeschnitten (“schneiteln”). Im Hudewald kam es durch natürliche Auslese zu einer Vermehrung der verbissfesten dornenbewehrten Gehölze.
Die Urwälder, von denen nur ein verschwindend kleiner Anteil auf Markwälder entfiel, wurden vom König als Königsforst beansprucht (s. Bannwald), der seinerseits eingeforstete Wäldereien an weltliche und geistliche Herren verlieh. In den Forsten wurden für die Hohe Jagd große Bestände von Hirschen und Wildschweinen gefördert; besonders das Schalenwild schädigte durch Verbiss der jungen Bäume die Verjüngung des Waldes. (Erst in der Neuzeit kam es zur Reglementierung der Wildbestände. So wurden im Nürnberger Reichswald zwischen 1792 und 1805 die Hirsche ausgerottet.)
Der Wald am Ende des Frühmittelalter war zu 80 % reiner Laub- oder Mischwald, in dem – ausweislich zahlreicher Baumpollenprofile – die Rotbuche (buoche; Fagus silvatica) vor Eiche (eich; Quercus robur, Qu. petrea) und Linde (lint; Tilia cordata, T. platyphyllos) dominierte. Nadelwälder wuchsen nur auf den sandigen Böden im Osten (heute Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg), wo die Kiefer (vorhe, kienboum; “Kienföhre”; Pinus silvestris) vorherrschte, oder in höheren Lagen der Mittelgebirge und der Alpen, wo Fichte (viehte; Picea abies), Tanne (tanne; Abies alba) und Wacholder (wecholter, queckolter, machandel; Juniperus) das Landschaftsbild bestimmten.
Je nach Bodenbeschaffenheit, Höhenlage, Nutzung und Aufwilderungsstand gab es geschlossene Hochwälder, Mittelwälder, Kopfholzbestände und Niederwälder (Strauchwälder aus Stockausschlägen). Darin wuchsen – neben Buche, Eiche und Linde – Ahorn (ahorn; Acer pseudoplatanus, A. platanoides), Birke (birke; Betula pendula), Eibe (iwe; Taxus baccata), Erle (erle; Alnus glutinosa, A. incana), Esche (asch; Fraxinus excelsior), Espe (aspe; “Zitterpappel”; Populus tremola), Hainbuche (hagenbuoche; Carpinus betulus), Hasel (haselboum; Corylus avellana), Holunder (holunter, holler; Sambucus nigra), Schlehe (slehe; “Schwarzdorn”; Prunus spinosa), Ulme (ulmboum; Ulmus montana), Weiden (wide; Salix alba, S. fragilis, S. triandra, S. viminalis) sowie verschiedene Wildobst- und Nadelbäume. Aus dem Süden waren durch die Römer oder durch Klosterbrüder eingeführt worden: Lärche (larche; Larix decidua), Pappel (popelboum; Populus alba, P. nigra), Platane (Platanus), veredelte Obstbaumsorten sowie der Walnuss- (mndd. walnut = welsche Nuss; Juglans regia) und der Edelkastanienbaum (kestene, kastane; Castanea sativa); letztere hatten den Römern zur Bereicherung der Legionärsration gedient. (Die Rosskastanie [Aesculus hippocastanum; der Name rührt daher, dass man Zubereitungen aus den nussartigen Samen als Arznei gegen Pferdehusten verwendete] wurde nördlich der Alpen erst Ende des 16. Jh. heimisch). Die Waldnutzung durch Entnahme von Bau-, Feuer- und Kohlholz, durch Waldweide und Streugewinnung, durch Beutnerei und Plaggenstich führte in vielen Gegenden zu einer Auflichtung zumindest der Waldränder, zu Bodenerosion, zu Bodenvernässung und -verdichtung und zum Rückgang des Laubholzes zugunsten der Fichte.
Holz war der wichtigste Baustoff und das einzige Brennmaterial. Ohne Holzkohle wären mittelalterliche Glas- oder Metallhütten, Schmiede oder Ziegler nicht ausgekommen. Man nutzte es zum Heizen, Kochen und Leuchten (Fackel, Kienspan), für Werkzeuge und Geräte. Ruten und Äste wurden für Flechtwerk und Zäune verwendet, Harz zur Lederbearbeitung, Pech zu Dichtungszwecken, Asche zur Pottaschebereitung und Eichenrinde zur Gerbstoffgewinnung. Der Wald lieferte außerdem Wildbret, Pelze und Felle; Fische aus Bächen und Teichen; vielerlei Früchte sowie Honig (als einziges Süßungsmittel) und Wachs; er stellte ein unerschöpfliches Reservoir an pflanzlichen Heilmitteln dar und bot Viehweide und Schweinemast (Bucheckern, Eicheln); mit Laub- und Nadelstreu und Moos konnten Stallungen eingestreut, mit Waldboden (Plaggen) Felder gedüngt und mit Reisigbündeln verschlammte Straßen fahrbar gemacht werden; der Wald war Wüstenersatz der Eremiten (“quasi altera Aegyptus”), aber auch letzte Zuflucht vor marodierendem Kriegsgesindel und Unterschlupf für Friedlose und Räuberbanden. Im Wald der Märchen und Sagen hausten Riesen und Zwerge, Hexen, Werwölfe, Einhorne, wilde Männer und andere Wesen mehr.
(s. Bannwald, Baumfrevel, Forst, Förster, Holz, Imkerei, Jagd, jagdbare Tiere, Jagd- und Forstregal, Markwald, Nussbäume (s. Nuss), Umweltprobleme, Waldschutzbestimmungen, Waldweide, Wilderei, Wildnis)