Lexikon des Mittealters | Zwischen Zinnen und Alltag - Das Leben auf mittelalterlichen Burgen |
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Wassermühlen (mhd. mul; mlat. molinae aquariae, molendina aquae). Unter Wassermühlen seien hier nur die Mühlen verstanden, zu deren Betrieb mehr oder weniger aufwendige Wasserführungsbauten benötigt wurden, nicht jedoch die Schiffsmühlen.
Nach literarischen Zeugnissen waren in der Spätantike Wasserräder zur Kraftgewinnung für Mahlwerke weithin bekannt (s. Wasserrad). Im christl. Abendland verbreiten sich Wasserräder für Mühlenantriebe erst wieder von etwa 600 an, und zwar einerseits von der mediterranen Zivilisation her, andererseits von eigenständigen Entwicklungen im engl.-skandinav. Raum ausgehend. Im deutschsprachigen Raum soll die älteste Wassermühle in Niedersachsen (östl. Bremen) aus dem Jahr 788 stammen. Mit der Verbreitung der Mühlentechnologie – zumeist im Zusammenhang mit der Christianisierung (Klostermühlen) – entstanden unzählige Siedlungen mit Namen wie Mühlenbach, Mühlhausen, Mühlheim, Möllendorf, Mölln usw. Wasserräder trieben im Frühmittelalter Mahlmühlen, vom Hochmittelalter an eine wachsende Zahl von Werkmühlen; zu letzteren zählten Walkmühlen, Erzpochwerke, Holz- und Marmorsägewerke, Schleifmühlen, Papiermühlen, Blasebalg- und Hammerwerke, Bewetterungs- und Fördereinrichtungen im Berg- und Hüttenwesen sowie Schöpfmühlen in küstennahen Tiefländern.
Als erste Betreiber von Wassermühlen im Mittelalter gelten mitgliederstarke Klöster, die über das entsprechende technische Können und die nötigen Mittel verfügten. Im Odenwald sind Wassermühlen für das Jahr 732, an der Unstrut für 775 belegt. Das Kloster Fulda betrieb um 800 in Mainz 3 Wassermühlen. Bei Bardowick (nahe Lüneburg) wurde eine Mühle aus dem 9./10. Jh. gefunden, die Konstruktionsmerkmale spätröm. Getreidemühlen aufwies. Der Mindener Bischof Milo (969 – 996) beurkundet eine Mühle in Levern (ca. 30 km westl. Minden). 1071 wurden Mühlendeiche bei Bamberg (Kloster Banz) urkundlich erwähnt. Die Lüneburger Abtsmühle ist 1147 urkundlich bezeugt. Im „Hortus deliciarum“ (1171) der Äbtissin Herrad von Landsperk und in einer engl. Handschrift aus der ersten Hälfte des 12. Jh. (London, British Library) finden sich früheste Abbildungen einer unterschlächtigen Mahlmühle. Im Sachsenspiegel von 1225 ist eine oberschlächtige Mühle dargestellt. Die älteste deutsche Sägmühle in Lenggries (Urtelmühle) wurde 1295 beurkundet. Für 1322 ist die Hanrey-Sägemühle bei Augsburg beglaubigt. 1389 bestand eine wassergetriebene Schleifmühle bei Augsburg. Ab 1390 arbeitete die erste deutsche Papiermühle bei Nürnberg. Von 1430 datiert eine anonyme Zeichnung eines Wasserrades mit vertikaler Achse (Stockmühle). Ab 1438 ist der Wasserantrieb zur Bewetterung bekannt.
Die Nutzung der Wasserkraft war ursprünglich Teil des Gemeingebrauchs-Rechts. Pioniere des Mühlenbaus waren – wie vorher erwähnt – die Mönche, allen voraus die Ingenieure des Benediktiner- und des Zisterzienserordens, in deren Klostermühlen Mahl- und Walkwerke liefen. (Den größer gewordenen Mönchsgemeinschaften war es unmöglich geworden, ihren Mehlbedarf in Handmühlen zu ermahlen. Außerdem wurde diese Tätigkeit zunehmend als unwürdig bewertet.) Die Anlage von Wassermühlen machte – um gleichmäßigen Wasserfluss am Mühlrad zu garantieren – Umgestaltungen in der Landschaft nötig; für unterschlächtige Räder baute man Stauwehre und Mühlgräben, für die oberschlächtigen Räder staute man durch Dämme Mühlteiche an und leitete das Wasser über Gerinne von oben aufs Rad. (Durch die Anlage von Mühlteichen wurde nebenbei die Fischzucht gefördert.) Bei geringem Gefälle des Mühlkanals und entsprechend niedriger Strömungsenergie konnten nur kleine Räder mit geringer Mahlleistung angetrieben werden. Die erforderliche Leistung erreichte man, indem man mehrere Wasserräder hintereinander anlegte. – Für die Einrichtung von Wassermühlen benötigte Kunstbauten – etwa Wehre oder Flussableitungen – waren genehmigungspflichtig und unterlagen dem vom Wasserregal abgeleiteten Wasserrecht des Landesherren. Als Grundsatz galt, dass der natürliche Lauf eines Gewässers nicht zum Schaden anderer verändert werden dürfe. Zu berücksichtigen waren vor allem die Interessen der Binnenschifffahrt; an den Mühlendämmen (aggeres molendinorum), deren Zahl mit fortschreitender Zeit anwuchs, mussten schiffbare Rinnen („canale fluvium, quod dicitur flutrenne“) und Siele angelegt werden.
Zwischen dem 9. und 11. Jh. sicherten sich die Könige (im Mühlen-Regal) und die Grundherren (mit dem Mühlenbann) das Recht auf Errichtung und Betrieb von Mühlen (s. Müller); die Benutzung war abgabepflichtig und konnte den Grundholden zwangsweise auferlegt werden (Mühlenzwang). In den immer zahlreicher und größer werdenden Städten entstanden vom Hochmittelalter an städtische Mühlen, die von vornherein in die Stadtanlage und in deren Schutz einbezogen waren.