Zeugung

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Zeugung (v. mhd. ziugen, ahd. giziugon = urspr.: Zeug [Gerät] anschaffen; später: herstellen, erzeugen). Die mittelalterliche Einstellung zum Zeugungsakt war überwiegend ablehnend und verächtlichmachend. Nach Augustinus war der Geschlechtsverkehr sündhaft infolge der damit verbundenen Fleischeslust, des Gräuels der Begierde. Für die eher nüchterne und praktische Auffassung der Hildegard v. Bingen spricht folgendes Zitate aus “Causae et curae”: “Bei seinem Zeugungswerk besitzt der Mann drei Vermögen: die Geschlechtsbegierde (concupiscentia), die Geschlechtskraft (fortitudo) und den Geschlechtsakt (studium). Die Libido steckt die Potenz zunächst in Brand, so dass der Geschlechtsakt der Partner in beiderseitigem brünstigen Verlangen vor sich gehen kann. … Auf diese Weise wird durch den Mann und die Frau das menschliche Geschlecht hervorgebracht.” Und: “Der doppelte Quell (i.e. die beiden Hoden), richte den Stamm zu seiner Zeugungsmächtigkeit” auf, “damit er seiner Bestimmung nach das Durchpflügen des Weibes wie eines Ackerlandes durchführe”. Aus dem Blut des Mannes entstehe ein schleimiger Schaum – der Samen (s. Sperma). Dieser gerinnt im weiblichen Körper und “wächst durch die trockene Ausscheidung aus der Nahrung der Mutter zur Konsistenz einer kleinen menschlichen Gestalt”. Das unterschiedliche Verhalten beim Geschlechtsverkehr erklärt Hildegard gemäß der Säfte- und Temperamentenlehre. Bezüglich des zur Zeugung günstigsten Zeitpunkts schreibt sie: “Wenn bei zunehmendem Mond das Blut im Menschen … zunimmt, dann ist das Weib wie auch der Mann fruchtbar, das heißt fähig, Nachwuchs zu zeugen.”

Innozenz III. erinnert in seinem Traktat “De contemptu mundi” (“Über die Verachtung der Welt”) daran, dass der erste Mensch aus jungfräulicher Erde geschaffen, seine Nachkommen dagegen aus sündigem Samen entstanden seien. Der menschliche Samen sei durch Sinneslust und sexuelles Verlangen verdorben, befleckt und besudelt. Duldbar war sexuelle Betätigung nur zwischen Eheleuten und mit dem ausschließlichen Motiv der (möglichst lustlosen) Zeugung. Jede Art der Empfängnisverhütung, außer Enthaltsamkeit, war damit sündhaft.

Albertus Magnus bezeichnet den Geschlechtsakt sowohl als von sinnenhafter Natur (actus naturae) als auch von spezifisch menschlicher Hingabe (actus hominis). Er konstatiert: “Weil aber alles nach Lust strebt, Menschen wie Tiere, so ist das ein gewisses Zeichen dafür, dass Lust irgendwie das Höchste ist, was alle erstreben.”

Thomas v. Aquin kennt nur mehr eine eindeutig diffamierende Einstellung zum Zeugungsakt; er sei schändlich (turpe) und unwürdig (foedum).

Gemäß aristotelischer Lehre wurde angenommen, dass sich bei der Zeugung die weibliche Substanz (“causa materialis”) mit der männlichen Form (“causa formalis”) zu einem menschlichen Wesen (“causa finalis”) vereinige. Darüberhinaus waren die wissenschaftlichen Kenntnisse über Fortpflanzung und Zeugung gering und irrtumsbehaftet. Mit Hippokrates nahm man an, dass Mann und Frau beim Orgasmus jeweils Samen ausstießen (“Zweisamentheorie”), wovon der weibliche, überschüssige Anteil angesammelt und bei der Menstruation abgesondert werde. Als wichtig für eine Empfängnis wurde angesehen, dass beide Gatten beim Verkehr Befriedigung fanden, wobei die männliche Ejakulation als Ursache für das Lustempfinden der Frau angesehen wurde, das wiederum Auslöser der weiblichen Samenausschüttung sei. Je nachdem, ob der männliche Samen in die rechte oder linke Gebärmutterhälfte gelange, würde ein männlicher bzw. weiblicher Fötus entstehen. Umsomehr der Samen nahe dem corpus uteri landete, zeigten Jungen weibliche bzw. Mädchen männliche Eigenschaften. Männliche Föten bildeten sich in höchstens 30 Tagen, weibliche erst nach 42 Tagen. Der männliche Fötus bewege sich nach drei, der weibliche nach vier Monaten. Eine Seele wohne männlichen Föten vom 40. Tag an, weiblichen dagegen erst vom 80. Tag an inne (s. Beseelung). Man war der Ansicht, dass eine Schwangerschaft noch zwei bis drei Jahre nach der Empfängnis auftreten könne (“…, also das der somen, so der man niht bei jr were, erste vber zwey oder drey jare aufging vnd zu einem kinde geriet”).

Die einzige als natürlich angesehene Stellung beim Geschlechtsverkehr war die, bei welcher der Mann die obere Position und die Frau die Rückenlage einnimmt. Die “aufsitzende” Position der Frau wurde wohl auch deshalb als unnatürlich diffamiert, da man annahm, dass bei ihr die Empfängnis weniger wahrscheinlich sei.

In mittelalterliche Rezeptsammlungen finden sich neben Vorschriften zur Empfängnisverhütung auch solche zur Förderung der Empfängnis, so z.B. die folgende aus einer im 15. Jh. im süddt.-österr. Raum entstandenen HS: “Item wil dw das ein weib swanger werd: So nim ains hasen magen und ains kicz magen und prenn dy ze pulver und trinck es mit wein der man und auch das weib alle paide, oder es waer schad.”

(s. Abtreibung, Empfängnisverhütung, Geschlechtsdetermination, Sexualität)

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