Blutwunder

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Blutwunder. Darunter seien hier blutungsähnliche Erscheinungen an konsekrierten Hostien oder an Christusbildern (“weinende Statuen”) und Wiederverflüssigungen von Blutreliquien verstanden. Im Spätmittelalter lösten blutende Hostien wiederholt massenhysterieartige Umtriebe aus (s. Hostienfrevel) und wurden zum Anlass großer Wallfahrten u.a. nach Bolsena, Rothenburg o.T., Walldürn und Wilsnack. Es wird angenommen, dass die Ursache der Rotfärbung von Hostien in Kolonien des Enterobakteriums Serratia marcescens zu suchen ist, das einen roten Farbstoff (Prodigiosin, zu lat. prodigium = Wunderzeichen) produziert. Auch Bacillus prodigiosus Cohn verursacht entsprechende Verfärbung.

Blutreliquien, wie etwa die des hl. Januarius (der im Jahre 305 den Märtyrertod erlitten hat), welche im Dom zu Neapel verwahrt wird, pflegen sich an bestimmten Tagen – oft mehrmals im Jahr – aus ihrer geronnenen Phase in die flüssige zurückzuverwandeln. Da eine direkte naturwissenschaftliche Untersuchung des Phänomens bis heute nicht durchgeführt werden konnte, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Eine davon geht dahin, dass sich in dem gläsernen Reliquiar eine komplexe Mischung verschiedener Stoffe (etwa Wasser, Kochsalz, Kalk, Holzasche, Eisenchlorid und rotes Farbpigment) befindet, die bei Zufuhr von Bewegungsenergie aus dem festen in flüssigen Zustand übergeht (Thixotropie). Andere Blutwunder könnten auf der Verflüssigung von rotgefärbtem Wachs oder Fett beruhen, wie sie sich etwa dabei ergibt, wenn der Reliquienbehälter von seinem kühleren Aufbewahrungsort in die durch Kerzen erwärmte Atmosphäre des Altars gebracht wird.

Das wohl erste Wunder blutender Hostien ereignete sich 1263 in der Kirche Sta. Cristina zu Bolsena (gelegen am gleichnamigen See in der ital. Provinz Latium). Der böhmische Priester Peter von Prag, der auf einer Pilgerreise nach Rom durch Bolsena kam und eine Messe in der Kirche zelebrierte, nahm auf den geweihten Hostien Blutstropfen wahr. Voller Reue gestand er, dass er bis dahin an der Lehre von der Transsubstantiation gezweifelt habe, aufgrund der wunderbaren Erscheinung aber zur wahren Einsicht gekommen sei. Die “blutenden” Hostien und das “blutbefleckte” Corporale Peters wurden feierlich nach Orvieto überführt, wo sich gerade Papst Urban IV. aufhielt. Dieser bestimmte unter dem Eindruck des “Wunders” den ersten Donnerstag nach dem Pfingstfest als Datum für Fronleichnam, das Hochfest der Eucharistie. – Noch heute werden auf dem Altarstein der Kirche Sta. Cristina “Blutstropfen” gezeigt.

Eine Pilgerattraktion eigner Art war das Heilige Blut der Jakobs-Stadtpfarrkirche von Rothenburg, dessen Verehrung wohl auf die erste Hälfte des 13. Jh. zurückgeht. Die Reliquie besteht aus einem Stückchen eines Leinwand-Korporale, auf das Messwein verschüttet worden war, der sich in Christi Blut verwandelte. Aufbewahrt wurde sie in einem kreuzförmigen Reliquiar unter einer zentralen Bergkristallscheibe; das Reliquiar stammt aus der Zeit um 1270.

Auf eine bemerkenswerte legendäre Vorgeschichte geht die Hostienwallfahrt von Gottsbüren (Buria, später Godesburc, Lks. Kassel) zurück: im naheliegenden Reinhardswald war um 1330 der unverweste Leichnam Christi gefunden und in die Kirche gebracht worden. Es entwickelte sich mit bischöflicher Privilegierung eine rege Wallfahrt, deren Ziel aus naheliegenden Gründen bald nicht mehr der corpus Christi, sondern ersatzweise eine blutende Hostie war. Die Wallfahrt zog ausweislich fernab gefundener Pilgerzeichen Leute von weither in den Ort und brachte ein Jahrhundert lang reiche Einnahmen.

Die wohl größte Wallfahrt Nordeuropas mit dem Ziel wundertätiger Hostien war die zur Wunderblutkirche in dem brandenburgischen Wilsnack, die auf das Jahr 1383 zurückging, als bei einem Kirchenbrand von St. Nikolai drei Hostien unversehrt geblieben waren, jedoch eine blutrote Färbung angenommen hatten (“Hostienwunder”).

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