Fallsucht

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Lexikon des Mittealters Leben im Schatten der Zinnen: Burgen des Mittelalters und ihr Alltag
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Fallsucht (mhd. vallendiu suht, daz vallende übel; Schwerenot, St. Valentins-Krankheit, St. Veits-Krh., Johannis-Krh; lat. morbus sacer, m. caducus, m. daemonicus; m. regius [weil sie von Königen durch Handauflegen geheilt werden konnte]). “Fallsucht” war eine Bezeichnung für Epilepsie, die zusammen mit Tobsucht, Eklampsie, Mondsucht u.a. den “morbi frenetici” zugerechnet wurde. Die Krankheit ist gekennzeichnet durch das wiederholte Auftreten von Krämpfen allgemeiner oder begrenzter Art, mit oder ohne Bewusstseinsverlust. Die Krankheitsursache ist nicht immer nachweisbar, sie kann hirnorganischer, stoffwechselbedingter oder hereditärer Natur sein.

Auf den mittelalterliche Menschen machte der epileptische Anfall einen besonders grauenerregenden Eindruck, die Ursache wurde – dem Kirchen- und Volksglauben entsprechend – in einem überfallartigen Ergriffenwerden durch einen bösen Geist gesucht. Bildhafte Umschreibungen belegen dies: “die stürzende Seuch”, “der schlagende Jammer”, “die fallenden Siechtage”, “die heilige Krankheit” oder “die schwere Not”.

Seitens der Kirche suchte man Epileptikern durch Exorzismus zu helfen, also durch den Versuch, den eingefahrenen Dämon durch Gebete und religiöse Rituale auszutreiben.

Die gelehrte Ärzteschaft kannte zwei Formen der Epilepsie, deren eine durch Fieber, die andere aus der gelben Galle entstünde. Die letztere sollte aus dem Mondwechsel resultieren und mit melancholischer oder phlegmatischer Symptomatik auftreten. (Das Gehirn als feucht-kaltes Organ stand nach der Säftelehre in einer besonderen Beziehung zum Mond.) Nach Galenus unterschied man drei Typen der Fallsucht: 1.) Eine primär im Gehirn entstehende Form, ausgelöst durch Stauung von Schleim oder schwarzer Galle (“epilepsie”); 2.) Eine vom Magen herrührende fortgeleitete Form, ebenfalls verursacht durch humoralpathologische Ursachen (“analepsie”); 3.) Eine von anderen Körperteilen ausgehende “sympathische” Form (“catalepsie”). – Arnaldus de Villanova unterschied zwischen einer “epilepsia vera” (mit Bewusstseinsverlust und schweren Krämpfen) und einer “epilepsia non vera” (mit kurzer Bewusstseinstrübung), den heutigen “Grand mal” und “Petit mal”. – Gegen Ende des Mittelalters (1497) beschrieb Ortolff von Bayerland die Fallsucht als rein somatisches Leiden: “Kompt der vallendt siechtumb von Kranckheit des hirnes”.

Im Volksglauben wurde besondere Heilkraft dem körperwarmen Blut hingerichteter Verbrecher zugeschrieben, und so sollen sich zu Enthauptungen viele Epileptiker eingefunden haben, die von dem Blut des Hingerichteten aufzufangen suchten. Auch aus Mumienmaterial oder – ersatzweise -“gantzen gehenckten Menschen” machte man Spezialitäten gegen die Fallsucht. Aus Kellerasseln, deren unruhige, unberechenbare Bewegungsweisen mit den unregelmäßigen Zuckungen bei epileptischen Krämpfen assoziiert wurden, machte man das Therapeutikum “Tinctura Millepedium”. Aus einem Breslauer Arzneibuch des 14. Jh. stammt die Empfehlung, Fallsüchtige mit einem Lederriemen zu umgürten, der aus der Haut eines lebendigen Hirschen geschnitten war.

Unter den Heilpflanzen wurden der Tollkirsche, der Mistel, der Alraune (Mandragora) und der Pfingstrose (Paeonie) besondere Wirksamkeit zugeschrieben. Außerdem behandelte man mit Tauben- und Schwalbenblut. Wundärzte suchten dem Leiden mit heroischen Maßnahmen abzuhelfen, etwa durch Inzision der Kopfhaut, Kauterisieren an bestimmten Stellen des Kopfes, Trepanieren der Schädeldecke oder – bei männlichen Patienten – durch Kastration. Als Schutzheilige der Epileptiker galten St. Valentin (aufgrund seines Namens), St. Cornelius (der einen Greifen von der Fallsucht geheilt hat), die hl. Drei Könige (die vor dem Jesuskind niedergefallen waren), St. Veit, St. Willibrord, St. Hubert und St. Johannes.

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